Mit dem S-Pedelec im Alltag unterwegs

Sehr schnell oder sehr gefährlich?

Mit dem S-Pedelec im Alltag unterwegs

Das S-Pedelec verspricht Fahrradpendeln mit Hochgeschwindigkeit. Bis 45 km/h unterstützen die kraftvollen Motoren, kommen in Deutschland aber kaum vor.
TEILE DIESEN ARTIKEL

In der Schweiz ist jedes fünfte verkaufte E-Bike ein S-Pedelec, in Deutschland entscheiden sich gerade einmal 0,4 Prozent der Käufer für ein Bike von der schnellen Truppe. Die Gründe für das Desinteresse der Deutschen sind vielschichtig. Infrastruktur, unklare Gesetzeslage, Hürden aufgrund der Führerschein- und Versicherungspflicht, nicht zuletzt auch der meist deutlich höhere Anschaffungspreis.

Bei uns in der Redaktion gehen die Meinungen auseinander, ob das S-Pedelec aktuell eine gewichtigere Rolle im Straßenverkehr spielen sollte. Dabei – das ist wichtig für die folgende Diskussion – gehen wir vom derzeitigen Ist-Zustand aus. Denn einig sind wir uns im folgenden Punkt: Die aktuellen Verkehrsregeln sind nicht für das S-Pedelec gemacht. Es gibt einige Lücken, Grauzonen und Widersprüche in der aktuellen Gesetzgebung, die das S-Pedelec-Fahren unnötig verkomplizieren – und sogar gefährlich machen.

Wir haben uns intensiv überlegt, ob die Vorteile der schnellen Pedelecs-45 die offensichtlichen Nachteile überwiegen oder andersherum und ob wir selbst bereit wären, unter den gegebenen Vorzeichen regelmäßig aufs S-Pedelec zu steigen oder nicht. Unser Test- und Technikleiter Sebastian Böhm ist eher skeptisch. Redaktionsleiter Stephan Kümmel hingegen sieht die S-Pedelecs tatsächlich als wichtigen Baustein der Verkehrswende. Sie betonen aber beide: Veränderungen sind dringend nötig. Nur dann lassen sich alle Vorteile der schnellen E-Bikes bestmöglich nutzen.

Pro S-Pedelec: Perfekt fürs Land

Ein Kommentar von Stephan Kümmel

Wie soll ich denn bitte ohne Auto zur Arbeit kommen?“ – Diese Frage höre ich wirklich sehr oft. Und wenn ich mich umschaue, dann habe ich darauf aktuell nur eine wirklich passende Antwort: Mit dem Fahrrad. Ich lebe in einem Dorf ohne Bahnanschluss. Ich will nicht jammern. Wir haben viel: Mehrere Supermärkte, eine abwechslungsreiche Gastronomie, ein Hallenbad und eine weiterführende Schule mit allen Schulzweigen und Oberstufe bis zum Abitur. Was wir nicht haben: ÖPNV.

S-Pedelecs 2023 im Test

Ich meine, natürlich fahren hier manchmal Busse. Sogar zum nächsten Bahnhof. Dort dann aber auch den passenden Zug zu bekommen, gleicht einer Lotterie. Noch seltener als zum sieben Kilometer entfernten Bahnhof fährt der Bus in die zwölf Kilometer
entfernte Kreisstadt oder ins 20 Kilometer entfernte Oberzentrum – also dahin, wo die Leute arbeiten. Deshalb steigt (fast) jeder für diese Strecken ins Auto. Hab ich auch gemacht. Mehr als zehn Jahre lang. Das würde ich heute nicht mehr machen. Heute stiege ich aufs S-Pedelec. Bis etwa 15 Kilometer braucht es kein S-Pedelec.

S-Pedelecs sind auf dem Land eine super Auto-Alternative, meint Redakteur Stephan Kümmel.

Schnell und wendig

Da ist ein „normales“ Pedelec genau richtig. Eine halbe bis Dreiviertelstunde Bewegung am Morgen schadet nicht – im Gegenteil. Die E-Unterstützung vernichtet dabei auch die aller meisten Argumente gegen das Fahrradpendeln. Für Wege über 15 Kilometer würde ich dann allerdings schon zur schnellen Klasse greifen. Auch hier setze ich mal eine Dreiviertelstunde an, also bis gute 30 Kilometer. Warum das gerade auf dem Land super funktioniert?
Weil es hier weniger Konflikte gibt als im Stadtverkehr.

Klar, auch ich werde angehupt und ernte verständnislose Blicke, wenn ich – wie für den aktuellen Vergleichstest hier im Heft – mit einem S-Pedelec über die Landstraße und nicht auf dem parallel verlaufenden Radweg fahre. Ganz viele Straßen hier auf dem Land haben aber ohnehin keinen Radweg. Dort sind Autofahrer deutlich verständnisvoller. Sie sind Fahrräder auf der Fahrbahn gewöhnt, die meisten fahren auch recht vorsichtig, halten viel Abstand und überholen nicht auf unübersichtlichen Streckenabschnitten. Dort fühle ich mich mit einem Pedelec-45 eigentlich meistens sicher.

Rechte und Pflichten: Das müssen Radfahrer beachten

Je ländlicher die Gegend, desto seltener gibt es straßenbegleitende Radwege – aber desto dünner ist auch der Verkehr insgesamt. Es fahren also keine Blechlawinen an mir vorbei. Das Miteinander im Straßenverkehr wird so insgesamt entspannter. Und bevor die Ersten jetzt rufen, dass auf dem Land sehr wohl gerast und viel zu eng überholt wird: Das weiß ich selbst. Meine persönliche Erfahrung aber ist die, dass gefährliche Situationen in der Stadt deutlich häufiger sind als auf dem Dorf. Entsprechend sicherer fühle ich mich auf einem Fahrrad und wage darum auch, mich auf der schnellen Klasse in den
Verkehr zu stürzen.

Das S-Pedelec hat Pionierstatus

Dazu kommt, und hier beanspruche ich für mich einen vielleicht nicht ganz ungefährlichen Pionierstatus: Wenn ich mit einem S-Pedelec unterwegs bin, werde ich sehr oft darauf angesprochen. „Warum ist an dem Fahrrad ein Kennzeichen? Warum bist du so schnell? Gar: Ist das Fahrrad getuned? Das sind die Fragen, die mir dann gestellt werden. Ich kläre dann auf. Was ein S-Pedelec genau ist, warum es ein Kennzeichen hat, dass es gut und gerne fast 50 Stundenkilometer schnell fährt und dass Autofahrer genau das immer bedenken sollten, wenn sie an einer Kreuzung stehen und sich ein Fahrrad nähert.

Denn das sind eigentlich die vielleicht gefährlichsten Situationen: Wenn mir Autofahrer die Vorfahrt nehmen. Ich unterstelle, dass es vor allem passiert, weil die Geschwindigkeit falsch eingeschätzt wird. „Oh, nur ein Fahrrad. Da kann ich noch schnell rausfahren!“ Schon oft musste ich bremsen.Motorradfahrer kennen diese Situationen. Aber das kann ich kontrollieren. Steht ein Auto an einer Kreuzung, bin ich aufs Bremsen eingestellt, kann die Situation beherrschen. Für mich ist das kein Grund, aufs S-Pedelec zu verzichten. Und trotzdem werde ich immer fordern, die Straßenverkehrsordnung und die Infrastruktur so anzupassen, dass es noch sicherer wird.

Contra S-Pedelec: Nicht durchdacht

Ein Kommetar von Sebastian Böhm

Vorab: Ich fahre gerne S-Pedelec, aber so wie die gesetzliche Lage aktuell ist, machen diese Räder für mich einfach keinen Sinn! Dabei sehe ich die nötige Haftpflichtversicherung nicht einmal als Problem, sondern sogar als Chance, weil gegen einen geringen Aufpreis sogar eine Teilkasko- und Diebstahlversicherung erhältlich ist. Auch die nötige Fahrerlaubnis Klasse AM (Roller) oder Klasse B (PKW) sowie die gleichen Alkoholgrenzen wie beim PKW leuchten mir ein. Das Nummernschild wäre für mich ebenfalls kein Problem, weil ich mich eh an die gesetzlichen Vorgaben halte.

Weil Pedelecs als Kleinkrafträder gelten, darf ich nicht auf dem Radweg fahren. Dabei zeigt die Schweiz, dass es sehr gut möglich ist, S-Pedelecs, Pedelecs und herkömmliche Radfahrer auf Radwegen fahren zu lassen. Untersuchungen zeigen auch, dass die Durchschnittsgeschwindigkeiten von Pedelecs und S-Pedelecs nicht so weit auseinanderliegen, wie die gesetzlichen Vorgaben mit 25 und 45 km/h suggerieren.

Und ich würde gerne auf dem Radweg fahren, schließlich sind S-Pedelecs auf eine Maximalunterstützung bis 45 km/h begrenzt. Diese erreicht man meist eh nicht, weil man entspannt, locker und nicht zu verschwitzt ankommen will. Auf der Straße ist man somit immer einen Tick zu langsam, weil Kfz meist 55 bis 60 km/h fahren.

S-Pedelec als Verkehrshindernis

Somit wird man eher als Verkehrshindernis denn als gleichberechtigter Verkehrsteilnehmer gesehen. Die Folge: Man wird langsam mit nur geringfügig höherer Geschwindigkeit und mit viel zu geringem Abstand überholt. Das ist gefährlich, verursacht Unsicherheiten, kann zu Unfällen führen und führt am Ende immer irgendwie zu Frust.

Auf meinen Pendelwegen darf ich mit dem Schnellen auch nicht wie mit einem Pedelec-25 durch den Wald fahren. Dabei ist das S-Pedelec wunderbar leise, die Wege dort wären frei, quasi kein Verkehr vorhanden und die Strecken oft effektiver und kürzer. Bei der Helmpflicht für S-Pedelecs bin ich mir
noch etwas unschlüssig. Ich selbst agiere nach dem Slogan: Wer was im Kopf hat, der fährt mit Helm! Während die Sinnhaftigkeit des Helmtragens für mich also klar ist, kann eine Pflicht dem Erfolg des Fahrrades und auch des S-Pedelecs im Wege stehen, weil Einzelne dann doch lieber ins Auto steigen.

Das ist weder der Gesundheit jedes Einzelnen noch der Verkehrswende zuträglich. Weiterhin darf ich mit dem S-Pedelec keinen Kinderanhänger ziehen, was für manchen im Alltag das K.-o.-Kriterium darstellt. Auf dem Weg zur oder von der Arbeit schnell am Kindergarten vorbeifahren? Nicht möglich. Auch nicht, wenn man trotz S-Pedelecs wegen der Kinder langsamer fährt. Und auch der Wochenendausflug mit der Familie macht mit dem S-Pedelec keinen Sinn, weil weder der Kinderanhänger noch das Fahren auf dem Radweg erlaubt sind.

S-Pedelecs in der Stadt erhöhen den Stressfaktor enorm, meint Redakteur Sebastian Böhm.

Vorsicht beim Service und Teiletausch!
Für S-Pedelecs gilt eine Zulassungspflicht! Daher muss ein Hersteller für jedes Modell beim Kraftfahrtbundesamt eine Betriebserlaubnis einholen. Somit darf weder ich selbst noch ein Händler Bauteile ohne Weiteres tauschen oder verändern. Es dürfen ausschließlich Bauteile, die in der Betriebserlaubnis oder in sogenannten Positivlisten genannt sind, verbaut werden.

Andernfalls muss ich das Rad von einem Technischen Dienst wie dem TÜV abnehmen lassen, um damit wieder am Straßenverkehr teilnehmen zu dürfen. Ein schnelles optisches Tuning oder die Ausstattung mit meinen bevorzugten, ergonomisch passenden Kontaktpunkten ist so nicht immer möglich.

Und noch ein weiterer Punkt stört mich beim S-Pedelec: Die klaren und einfachen Linien wie auch die gesamte Optik eines Fahrrades werden durch die angebauten Spiegel und seitlich angebrachten, orangenen Reflektoren nicht gerade besser … Mein Fazit: S-Pedelecs sind eine interessante Alternative zum Auto, aber mit den aktuellen gesetzlichen Vorgaben ist ein S-Pedelec für mich im Alltag weder Sinnvoll noch hat es echtes Spaßpotenzial.

ElektroRad 7/2022, Banner

Hier können Sie die ElektroRad 7/2022 als Printmagazin oder E-Paper bestellen

Schlagworte
envelope facebook social link instagram