Julian Nagelsmann, Interview, Radfahren

Julian Nagelsmann im Interview: Der Fußball-Bundestrainer übers Radfahren

"Hauptsache die Waden glühen!"

Julian Nagelsmann im Interview: Der Fußball-Bundestrainer übers Radfahren

Es gibt vor allem ein Sportgerät, was Julian Nagelsmann – den neuen Fußball-Bundestrainer – glücklich macht, und das ist das Fahrrad. Im Interview spricht der Coach darüber, warum er fast jeden Tag zum Training strampelt, warum für ihn das Pedalieren wie Meditation ist und sein Herz an der Seitenlinie wie wild schlägt. Nagelsmann: „Ich habe Ausschläge von bis zu 160/170. Das hat normalerweise ein Radprofi, wenn er nach Alpe d'Huez hochfährt.“
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Anmerkung der Redaktion: Das Interview mit Julian Nagelsmann führten wir im Frühjahr, als der heutige Bundestrainer noch Trainer beim FC Bayern München war und dort mit dem Fahrrad zum Training an die Säbener Straße fuhr. Mit Ausnahme der Aussagen zu seinem Arbeitsweg ist das Interview zeitlos und behandelt Nagelsmanns Verhältnis zum Radfahren.

Radfahren: Herr Nagelsmann, Sie mussten Ihre aktive Fußball-Karriere im Alter von 20 Jahren beenden. Was war los?

Julian Nagelsmann: Ich war, bis ich 16 Jahre alt war, immer fit und gesund. Dann, als ich in die U16 kam, ging es mit den Verletzungen los. Meine letzte „große“ war ein Meniskusriss, der damals nicht richtig behandelt wurde. Der Riss blieb ein Riss, worauf sich ständig Flüssigkeit im Kniegelenk ablagerte – und das über Monate hinweg. Wenn man ab und zu mal trainiert, ist das nicht so schlimm. Ich habe in der fast viermonatigen Reha-Phase jedoch jeden Tag wie ein Bekloppter trainiert, um so schnell wie möglich zurückzukommen, um so schnell wie möglich wieder auf dem Platz zu stehen. Meinem Knie gefiel das ganz und gar nicht.

Das bedeutete?

Dass die Ärzte mich noch mal operieren mussten. Dabei entdeckten sie, dass zusätzlich das so genannte „Hinterhorn“ – das sich neben dem hinteren Kreuzband befindet – in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die Folge: Ich zog mir durch das intensive Reha-Training auch noch einen Knorpelschaden zu. Der Super-GAU! Ohne einen einzigen Pflichtspieleinsatz musste ich meine Karriere beenden, bevor sie überhaupt begann.

Was war die genaue Diagnose?

Knorpelschaden im zweiten Grad. Ich kann zwar heute fast alles machen, dennoch vermeide ich Sportarten wie Squash, die voll auf die Gelenke gehen. In den vergangenen Jahren habe ich vor allem ein Sportgerät entdeckt, das mich glücklich macht: das Rad.

Julian Nagelsmann: Radfahren ist „fast wie Meditation“

„Endlich“, sagt Fares Gabriel Hadid – einst Chef der „Berliner Fahrradschau“ – „ist das Rad dort, wo es hingehört. Es ist mehr als ein Fortbewegungsmittel. Es ist ein soziokulturelles Verbindungsglied, Designobjekt, Kunstgegenstand, Statussymbol und Sportgerät in einem“.

Besser hätte ich es nicht sagen können (lacht). Im Ernst: Ich wohne im Münchener Norden und fahre häufiger morgens mit meinem Mountainbike oder meinem City-Rad die knapp 15 Kilometer zur Säbener Straße, dem Trainingszentrum des FC Bayern München. Und abends wieder zurück. Für mich ist das fast wie Meditation – selbst wenn ich gerne mal auch etwas schneller die Isar morgens erst runter und abends wieder hoch rase. Trotzdem komme ich immer entspannt an. Das hat mit dem Gerät zu tun.

Welches Gerät?

Im Auto klingelt ständig mein Handy. Auf meinem Fahrrad zwar auch, das ist aber gut und sicher im Rucksack hinten verstaut (grinst). Ich brauche immer, egal zu welcher Jahreszeit, exakt 30 Minuten. Mit dem Auto kann es sogar mal doppelt so lange dauern.

Julian Nagelsmann, Interview, Radfahren

„Mit dem Rad brauche ich immer exakt 30 Minuten zur Säbener Straße. Mit dem Auto kann es sogar mal doppelt so lange dauern.“

Julian Nagelsmann: „Das umweltfreundlichste Verkehrsmittel der Welt“

„Egal, ob Muskeln oder Gelenke, Immun- oder Herz-Kreislauf-System: Radeln bringt den ganzen Körper in Top-Form“, sagt Ingo Froböse, Leiter des Zentrums für Gesundheit durch Sport und Bewegung an der Deutschen Sporthochschule Köln. Er sagt: Radfahren ist der gesündeste Sport auf diesem Planeten …

… und das umweltfreundlichste Verkehrsmittel der Welt noch dazu. Im Schnitt sitze ich allein sechs, sieben Stunden die Woche auf meinem Rad. Mir, damit meine ich meine Gelenke und Sehnen, tut das jede Minute gut. Und das Schöne: Ich kann in der Zeit die Natur und mich wahrnehmen.

Was machen Sie sonst noch sportlich?

Krafttraining und Padel-Tennis, das vor allem in Spanien und Südamerika gespielt wird. Ich schaue, dass ich drei bis vier Mal die Woche noch was mache. Das geht aber nur in normalen Spielzeiten. Wenn wir Englische Wochen haben, in denen wir zwei Mal spielen, viel auf Reisen sind und in Hotels übernachten, gehe ich mit Benjamin Glück, meinem Co-Trainer, und Max Pelka, unserem Psychologen, morgens 45 Minuten joggen. Für mich ist das ein wichtiger Ausgleich.

Julian Nagelsmann über seine Herzfrequenz beim Radfahren

Gerade durch die gleichmäßige Bewegungsform senke Radfahren den Stress. Körpereigene Botenstoffe wie Dopamin, Serotonin, Adrenalin und das Wachstumshormon Somatropin würden verstärkt ausgeschüttet werden. „Deshalb ist der Sport mehr als ein Ausdauersport – er ist ideal zum Stressabbau“, so Fitness-Papst Froböse. Haben Sie jemals Ihren Puls während des Spiels gemessen?

Ja, und ich war wirklich überrascht, was meine Pumpe währenddessen so alles leisten muss. Ich habe Ausschläge von bis zu 160/170. Das hat normalerweise ein Radprofi, wenn er nach Alpe d’Huez oder auf den Col du Galibier hochstrampelt. Ich hingegen stehe „nur“ an der Außenlinie und versuche mit meinen Anweisungen das Spiel zu beeinflussen. Bis zum Anpfiff bin ich aber, glaube ich, eine ganz coole Socke. Es gibt Trainer, die sind schon Stunden vor dem Spiel im Tunnel. Dazu gehöre ich nicht. Sobald es aber zählt, also bei der Abschluss-Besprechung im Hotel und den letzten In­struktionen in der Kabine, bin ich voll da, bin voll konzentriert.

Wie merken Sie körperlich den stressigen Trainer-Alltag?

Früher konnte ich wirklich schlecht einschlafen. Besser gesagt: eigentlich gar nicht. Wenn das Spiel an einem Samstag um 17:15 Uhr abgepfiffen wurde, döste ich fast nie vor vier oder fünf Uhr morgens ein. Nun habe ich so ein Gerät daheim, durch das ich Sauerstoff zusätzlich aufnehmen kann. Zusammen mit meinen Entspannungstechniken klappt das Einschlafen mittlerweile viel besser. Da haben es die Spieler leichter als ich.

Welcher Radfahrer-Typ ist Julian Nagelsmann?

Wie meinen Sie das?

Sie können sich auf dem Platz voll auspowern, ihren Akku runterbrennen. Bei mir ist das anders. Egal ob wir gewonnen oder verloren haben, steht mein Körper mindestens vier, fünf Stunden nach dem Abpfiff noch voll unter Strom. Ich wünschte mir manchmal, ich hätte irgendwo ein Ventil an mir, aus dem ich dann Druck herauslassen könnte. Aber es funktioniert auch, wenn ich dann an einem freien Tag einen schönen Berg hochwandern kann, oder ich nehme mein Mountainbike.

Sind Sie so ein wilder Fahrer, der die Bike-Parks runterballert?

Ich bin eher der Typ, der gerne ein paar flowige Trails mit ein paar coolen Drops fährt. So ein lässiger Trail wie den „Hangman II“ im Bikepark in Saalbach-Hinterglemm geht jedoch immer, weil es keine wilden und gefährlichen Sprünge gibt. Wenn ich die Zeit mal habe, dann kann es schon vorkommen, dass so eine Wochen­endtour mal sechs, sieben Stunden geht.

Außer mit dem City-Rad fährt Julian Nagelsmann auch gerne mal auf seinem Mountainbike flowige Trails hinunter

Julian Nagelsmann über Berge

„Berge bieten mir Schutz“, sagt der österreichische Liedermacher Hubert von Goisern. Der Alpen-Rocker könnte in einem flachen Land wie Holland nicht leben. „Der Landschaft fehlt die dritte Dimension. Ich habe gemerkt, dass mich eine vollkommen flache Landschaft depressiv macht. Ohne Berge werde ich auf Dauer schwermütig“, sagt er. Verstehen Sie das?

Immer, wenn ich in den Bergen bin, merke ich, wie klein wir Menschen doch sind. Die Stille, die Aussicht, die Einsamkeit, vor allem aber die Demut vor den riesigen Gesteinsmassen – das beeindruckt mich dort wirklich jedes Mal wieder. Egal, ob es das Karwendel, der Wilde Kaiser oder die Dolomiten sind. Sie zu befahren oder zu besteigen, macht einen demütig. Und süchtig (grinst).

Fahren Sie auch Rennrad?

Ich habe von Specialized so ein Roubaix bekommen – das ist genau mein Ding. Mit dem Rad querfeldein zu flitzen, macht richtig Laune. Das macht mir mehr Spaß, als auf einer Bundesstraße Richtung Tegernsee von hunderten von Autos überholt zu werden.

Julian Nagelsmann, Interview, Radfahren

Redakteur Andreas Haslauer im Interview mit Julian Nagelsmann

Das erste Fahrrad von Julian Nagelsmann

Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Rad?

Es war rot und hatte gelbe Griffe. Ich muss so drei oder vier Jahre gewesen sein. Das Einzige, was ich noch weiß, ist, dass ich hartnäckig darauf bestanden habe, dass die Stützräder abmontiert werden müssen. Noch am gleichen Tag.

Ähnlich war es bei Mike Kluge, dem Querfeldein-Weltmeister. Er montierte 1976 noch an Heiligabend die „peinlichen Schutzbleche“ ab. Nach einer Viertelstunde war der erste „Achter“ in seiner neuen Felge. Diesen wollte er rausmachen, indem er die Speichen so wie seine Gitarre spannte. Nach 30 Minuten war sein Rad ein Fall für den Wertstoffhof.

Bei mir war es ähnlich. Damals sagte ich: Schutzbleche! Gehen! Gar! Nicht! Meine Mutter fand das nicht so klasse, ich sah jeden Tag aus wie der größte Dreckspatz (lacht).

Das Ziel Alpen-Überquerung

Was macht die Alpen-Überquerung? Diese hatten Sie schon lange vor …

… und noch immer keine Zeit gefunden. Die sechs, sieben Routen, die ich machen will, sind immerhin schon auf meinem Handy gespeichert. Darüber hinaus liegt die Ausrüstung daheim im Keller parat: ein Expeditionszelt für zwei Personen, ein Gaskocher und Magnesium-Besteck. Und: Ich habe einen Mini-Schlafsack, der von minus zehn bis plus 20 Grad top ist. Eigentlich könnte ich heute schon los …

Haben Sie eine besondere Route im Kopf?

Ja, eine mit sieben Tagen, die ich in fünf fahren will. Über Garmisch in die Schweiz und dann über den Tremalzo an den Gardasee, das sind so gut 415 Kilometer. Welche ich dann schlussendlich fahre, ist fast egal. Hauptsache die Waden glühen ein paar Tage und ich kann mich so auspowern wie die Jungs bei mir im Training!

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