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Radschnellweg Ruhr 1: Darum nimmt das Vorzeige-Projekt keine Fahrt auf

RS1: Der lange Weg zu Deutschlands Vorzeige-Radschnellweg

Radschnellweg Ruhr 1: Darum nimmt das Vorzeige-Projekt keine Fahrt auf

Seit über zehn Jahren ist der Radschnellweg Ruhr 1 (RS1) deutschlandweit in aller Munde. Aus gutem Grund: Auf einer Strecke von über 114 Kilometern soll er zwischen Moers und Hamm einmal quer durch das Ruhrgebiet verlaufen und einen landesweiten Meilenstein in puncto Radinfrastruktur markieren.
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Dass im Jahr 2021 erst ein überschaubares Teilstück von 12,5 Kilometern des Radschnellweg Ruhr 1 durchgängig befahrbar ist, sorgt vielerorts für Ernüchterung. Als im Juni 83 Oberleitungsmasten der Deutschen Bahn auf einem geplanten Teilstück in Essen-Kray aufgestellt wurden, mündete die Stimmungslage in Ungläubigkeit.

Und Zweifel mehrten sich, ob der Radschnellweg jemals komplett fertiggestellt sein würde. Eine Bestandsaufnahme.

Radschnellweg Ruhr 1: Erster Teilabschnitt seit Juni 2010

Die Worte im Mai vergangenen Jahres klangen nach dem langersehnten Aufbruch. Nach eine fulminanten Startschuss. Und einem großen Versprechen. Fortan wolle Andreas Scheuer und sein Bundesverkehrsministerium mit Radschnellwegen das Fahrradfahren „flotter, sicherer und komfortabler“ machen.

Mit einem Gesamtvolumen von rund zehn Millionen Euro den Bau von sieben neuen Radschnellwege-Projekten fördern – und Deutschland so zu einem „echten Fahrradland“ machen.

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Gut ausgebaute Teilstücke des RS1 enden abrupt in unbefahrbarer Brachfläche: Das Ausbauende an der Stadtgrenze Essen/Gelsenkirchen ist ein Beispiel von vielen.

Im Ruhrgebiet hielt sich die Euphorie schon damals in überschaubaren Grenzen. Zuviel der großen Worte stehen den allzu kleinen Taten rund um den Radschnellweg Ruhr 1 seit der Eröffnung seines ersten Teilabschnittes im Juni 2010 gegenüber.

Viele unvollendete Teilstücke

Da wäre beispielsweise das neben der Universität Duisburg-Essen endende Teilstück am Campus Essen. Dort gehe es seit Jahren nicht weiter, weil ein Gütergleis eines Industriebetriebes verlegt werden müsse und dazu vertragliche Fragen noch nicht abschließend geklärt seien. Weiß ADFC Nordrhein-Westfalen Pressesprecher Ludger Vortmann zu berichten.

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Alle, die dort bislang auf einer gut ausgebauten Strecke mit dem Rad unterwegs seien, würden plötzlich in trostloser Brachfläche, also einer Sackgasse, enden. Laut dem 52-Jährigen ein Sinnbild, stellvertretend für viele Abschnitte des Radschnellweg Ruhr 1.

Oberleitungsmasten der Deutschen Bahn sorgen für Verzögerung

Dass auf einem geplanten Teilstück nun 83 Oberleitungsmasten der Deutschen Bahn errichtet wurden und ein Umplanen erfordern, stellt allerdings ein Novum im schleppend voranschreitenden Bauprojekt dar.

Die Szenerie rund um den etwa 600 Meter langen, fest in den RS1 eingeplanten, Abschnitt in Essen-Kray. Vier Bahnstrecken, von denen zwei unlängst stillgelegt sind und sich wie vielerorts perfekt für die Errichtung neuer Radfahrschnellstraßen eignen.

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Vier Bahngleise, von denen zwei stillgelegt sind: In Essen-Kray soll ein etwa 600 Meter langes Teilstück des RS1 neben 83 neu gebauten Oberleitungsmasten verlaufen.

Deutsche Bahn und Straßen.NRW in ständigem Austausch

Die Wege auf oder neben den Gleisen bieten im dicht besiedelten Ruhrgebiet Platz für einen rund vier Meter breiten Streifen für Radfahrer und einen Fußgängerweg von bis zu 3,5 Meter Breite. Seit Baubeginn stehen der an der Planung beteiligte Landesbetrieb Straßen.NRW sowie die Deutsche Bahn im regelmäßigen Austausch.

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Fragt man bei einer Bahnsprecherin nach, so hätte man bereits im Jahr 2018 alle Beteiligten über den geplanten und zwingend notwendigen Masten-Neubau informiert. Ebenso darüber, dass für die Standorte der Oberleitung weitere Rahmenbedingungen, beispielsweise die unter den Gleisen verlaufende Tiefenentwässerung, berücksichtigt werden müssten.

Masten-Bau seit 2018 bekannt

Von Seiten des Landesbetriebes wird bestätigt, bereits 2018 über die Erneuerung der Oberleitungsanlage in Kenntnis gesetzt worden zu sein. Nun seien die Planer des Landesbetriebs damit beauftragt, die in der Machbarkeitsstudie vorgeschlagene Streckenführung entsprechend der Verhältnisse vor Ort weiterzuentwickeln.

Zur Konkretisierung der Planung hätten zuletzt Vermessungsarbeiten stattgefunden, die aktuell ausgewertet werden würden. So eine Straßen.NRW-Sprecherin auf unsere Anfrage Ende Juli.

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Die Auswirkungen der Neupositionierung der Masten könne erst planerisch berücksichtigt werden, wenn die genauen Maststandorte vermessungstechnisch erfasst und ausgewertet worden seien, führt die Sprecherin weiter aus und betont abschließend, dass die Fertigstellung des RS1 definitiv nicht beeinträchtigt werden würde.

Sinnbild für Radverkehrspläne

Soweit, so zufriedenstellend, möchte man vermuten. Im Jahr 2022 soll also mit dem Bau des Radschnellweg Ruhr 1 auf Essener Stadtgebiet begonnen werden können. Missverständnisse könne es schließlich immer mal geben, blickt Vortmann mit einer Portion Verständnis auf die zurückliegenden Monate zurück.

Dennoch zeige sich an diesem konkreten Beispiel die gesamte Misere der Radverkehrsplanung: „Wie kann es sein, dass hier seit Jahren im Flickenteppich RS1 nur häppchenweise Mini-Teilstücke freigegeben werden, obwohl die Politik die Notwendigkeit des Klimaschutzes in allen Bereichen als wesentliche Aufgabe begriffen haben dürfte?“

Gesetz zu mutlos und unverbindlich

Auch der Landesvorsitzende des ADFC NRW Axel Fell kritisiert die grundsätzliche Herangehensweise an das Bauprojekt. Wie der Verkehrsminister den Bau von Radwegen beschleunigen wolle, gehe selbst aus dem von ihm gerade vorgelegten Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz NRW (FaNaG NRW) nicht hervor.

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Es sei das erste seiner Art in einem Flächenland und solle das Radfahren revolutionieren. Doch nach Ansicht von Fell sei es schlichtweg mutlos und zu unverbindlich. Die stellvertretende ADFC NRW Landesvorsitzende Annette Quaedvlieg traut dem bevölkerungsreichsten Bundesland mit diesem Entwurf ebenfalls nicht zu, den Radverkehrsanteil von derzeit rund zehn Prozent auf 25 Prozent bis 2025 mehr als zu verdoppeln.

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Dieses Ziel hatte die Volksinitiative Aufbruch Fahrrad ausgegeben, die im Juni 2019 mit 207.000 Unterschriften das erste Fahrradgesetz in einem Flächenland erkämpft hatte. Die Landesregierung verweist ihrerseits darauf, Rekordsummen für den Aus- und Neubau von Radwegen zur Verfügung zu stellen. Und dadurch seit 2017 mehr als 580 Kilometer neue Radwege möglich gemacht zu haben.

Neue Planstellen für Radinfrastruktur-Ausbau

Alleine im laufenden Kalenderjahr würden 103 Millionen Euro in besseren Rad- und Fußverkehr in Nordrhein-Westfalen fließen. Beim Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen habe man außerdem aktuell vier Planstellen geschaffen. Die sich ausschließlich um mehr schnellere Verfahren beim Ausbau der Radinfrastruktur kümmern sollen.

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Für den Haushalt 2022 seien außerdem insgesamt 15 zusätzliche Stellen für Radverkehr/E-Mobilität vorgesehen. Ebenso habe sich das Ministerium für Verkehr personell und organisatorisch noch mehr auf das Fahrrad eingestellt. Seit März 2020 arbeite die Stabsstelle Radverkehr und Verkehrssicherheit „mit viel Engagement“  an einem besseren Radverkehr.

Mehrkosten für Steuerzahler?

Für den Essener Landtagsabgeordneten Frank Müller blieben in der Aufarbeitung der Ereignisse rund um den Bauabschnitt in Essen-Kray viele Fragen offen. Oder nicht ausreichend beantwortet. Weshalb er sich im Juni mit einer Kleinen Anfrage an den Landtag wandte.

Aus der Antwort ging unter anderem hervor, dass derzeit keine weiteren Baumaßnahmen der Deutschen Bahn auf der Trasse des Radschnellweg Ruhr 1 geplant seien. Immerhin. Mitte Juli legte der SPD-Politiker eine zweite nach, in der er konkret nach möglichen Mehrkosten für den Steuerzahler fragte.

Baukosten steigen

Etwa für neue Planungsarbeiten oder eine aufwendigere Trassenführung entlang der Gleise. Die Antwort darauf stand bei Redaktionsschluss noch aus. Die Aussagen aus dem Landesbetrieb Straßenbau NRW lassen bereits darauf schließen, dass die Rechnungssummen für den Bau des etwa 600 Meter langen Teilabschnittes etwas höher als geplant ausfallen könnten.

RS1 erhält landesweite Aufmerksamkeit

Erfahrungsgemäß könne die Ausführungsplanung sowie die tatsächliche Ausführung vor Ort von der ursprünglichen Entwurfsplanung abweichen. Dies sei unter Umständen mit der Anpassung von Kostenplanungen verbunden, so eine Sprecherin.

Immerhin kann der Pressesprecher des ADFC NRW Ludger Vortmann dem in den Medien als „Masten-Posse“ getauften Dilemma einen positiven Aspekt abgewinnen. Die deutschlandweite Aufmerksamkeit auf das Radschnellweg-Vorzeigeprojekt, das vielerorts bereits als Radschneckenweg veralbert oder mit der Bauzeit des neuen Berliner Flughafens in Verbindung gebracht wird.

Fahrradland noch lange nicht in Sicht

Von den 111 Kilometern, die bereits 2020 fertiggestellt sein sollten, gäbe es aktuell gerade einmal rund 15 Kilometer. Und selbst davon sei nur ein Teil komplett im finalen Radschnellweg-Ausbaustandard mit Top-Oberfläche, Beleuchtung und den vorgeschriebenen Markierungen.

Das von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer ausgerufene „Fahrradland“ sei in den Augen des 52-Jährigen noch lange nicht in Sicht. Aber der Handlungsdruck könnte mit Ereignissen wie diesen zunehmend und wirkungsvoll ansteigen.

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