S-Pedelec mit Versicherungskennzeichen

EU empfiehlt Versicherungspflicht für Pedelecs

EU erwägt Änderung der Kfz-Haftpflichtversicherungsrichtlinie

EU empfiehlt Versicherungspflicht für Pedelecs

Mit einem kürzlich veröffentlichen Vorschlag sorgt die EU-Kommission für Wirbel: Sie empfiehlt die Haftpflichtversicherung für Pedelecs. Was bedeutet das?
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Das Pedelec hat der seit dem abgeebten Mountainbike-Boom der 80er und 90er Jahre schwächelnden Fahrradbranche neuen Wind eingehaucht. Jetzt brummt das Geschäft wieder, auch sei Dank einer wie so oft trägen Gesetzgebung. Im Bundesgebiet wurde das Pedelec mit Tretunterstützung bis 25 km/h und einer maximalen Nenndauerleistung bis zu 250 W dem Fahrrad gleichgestellt. So weit, so gut – alles klar. Doch wer konnte zu Beginn der 2000er auch nur ansatzweise ahnen, dass diese Art „Fahrrad“ so derart einschlägt, dass die Abverkaufszahlen Jahr für Jahr neue Rekorde verzeichnen. Etliche Hersteller richten inzwischen ihr Portfolio verstärkt auf Elektroräder aus, man gewinnt den Eindruck, dass „normale“ Fahrräder nur noch ein Nischendasein führen.

Diese Entwicklung wird natürlich genau beobachtet – auch von der Versicherungswirtschaft. Ist es verwunderlich (ein Schelm, der Böses dabei denkt…), dass „plötzlich“ die von Lobbyisten flankierte EU-Kommision einen Vorschlag zur Novellierung der 2009er Kfz-Haftpflichtversicherungsrichtlinie 2009/103/EG MID (Motor Insurance Directive) bringt?

Inhalt Ausgabe 3/2018

Woher kommt das Geld beim Unfall?

Bedenken sieht die Kommission offensichtlich bzgl. der Lasten eines monitären Ausgleichs im Schadenfalle. Woher kommt das Geld, wenn keine Versicherung vorhanden ist? Dies scheint die zentrale Frage der Kommission sein. Das bei einem entsprechend schwerwiegenden Unfall schnell mal eine halbe Million Euro an Schadensersatz, Schmerzensgeld und vor allem Rehamaßnahmen zusammen kommt, liegt nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit. Ist der schadenverurachende Pedelec-Fahrer nicht mit einer entsprechenden Police ausgestattet, wird die Regulierung schwierig oder sogar unmöglich. Eine Privatinsolvenz steht in einer solchen Fallkonstellation nicht außer Reichweite.

Genau in diese Kerbe schlägt die Versicherungswirtschaft. Ein flächendeckender gesicherter finanzieller Ausgleich ist stringenter Weise nur über eine dementsprechende Versicherung möglich. Entweder durch eine Privathaftpflicht – die die überwiegende Mehrheit der Bundesbürger eh besitzt – oder eben über eine zwangsweise Kfz-Haftpflichtversicherung. Soweit ist diese Problematik nachvollziehbar. Inwieweit und ob nun die Versicherungslobby diesbezüglich aktiv im Hintergrund wirkt, darüber können wir nur spekulieren. Ein weiterer Ansatz zur Lösung könnte ein nationaler Fonds sein.

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Steigende Unfallzahlen mit Pedelecs?

Die zur Zeit stark wachsende Zahl der im Verkehr teilnehmenden Pedelecs lässt auch die Zahl der Unfälle nach oben rücken. Allerdings gibt es bislang noch keine brauchbaren belegbaren Zahlen für von Pedelec-Fahrern verschuldete oder teilverschuldete Unfälle. Lediglich eine von der Unfallforschung der Versicherer gemeinsam mit der Technischen Universität Chemnitz durchgeführte Studie zum Thema „Mobilität, die Geschwindigkeit und das Verkehrsverhalten von Pedelec- und den leistungsstärkeren S-Pedelecfahrern im Vergleich zu Fahrradfahrern“ aus dem Jahre 2014 kann als Erklärungsversuch herangezogen werden. Konkrete Hinweise auf ein mögliches höheres Gefährdungspotential sind in der Studie nicht erkennbar. Lediglich der Hinweis, dass „Pedelecs gegenwärtig vor allem von älteren Personen gefahren werden.“ Im Gegenteil, im Wesentlichen Verhalten sich Radfahrer und Pedelecfahrer gleich: Ähnlicher Einsatzzweck, ähnlicher Aktionsradius und vergleichbare Durchschnittsgeschwindigkeiten.

Die Unfallforscher kommen zur Erkenntnis, „dass Elektrofahrräder eben keine Fahrräder sind“ Geht klar! Ebenso „besitzen sie eine andere Fahrdynamik und sprechen andere Nutzergruppen an“, auch nix Neues, letzteres hat aber mit Unfallforschung irgendwie nichts zu tun.

Herausgefunden wurde unter anderem, dass „das Unfallgeschehen im Wesentlichen mit dem der Fahrräder identisch ist“. Also doch?! „Aber“, so die Forscher, „gibt es auch relevante Unterschiede. So werden zum Beispiel Pedelecfahrer schwerer verletzt als Radfahrer der gleichen Altersgruppe.“ Warum? Darauf gibt´s weder eine Antwort noch eine Statistik.

Versicherungspflicht für Pedelecs nachteilig?

Würde den rund vier Millionen Nutzern ihrer Pedelecs ein erheblicher Nachteil durch die Einführung einer Haftpflichtversicherung überhaupt entstehen?

Die ECF (European Cyclists Federation) spricht von einer „Kriminalisierung von Millionen gegenwärtiger Radfahrer, die fast alle eine andere Versicherung (gemeint ist eine allgemeine Privathaftpflicht) haben“. Hier muss man klar trennen zwischen der Notwendigkeit der Einführung einer Pedelec-Haftpflichtversicherung, den dadurch entstehenden Kosten und die Art und Weise der Einführung in den jeweiligen Mitgliedstaaten.

Notwendigkeit einer Versicherung

Über die Notwendigkeit einer derartigen Versicherung verweise ich nach oben. Dies kann auch dem Schutz des einzelnen Individuums dienen, der sich ggf. als Unfallverursacher von finanziellen Verpflichtungen freimachen kann und auch dem Geschädigten eine optimale Genesung ermöglichen würde.

Kosten

Die Versicherungskosten sollten sich an denen der Kleinkrafträder orientieren, also jährlich zwischen 50 – 100,- €. Für die Versicherer sicherlich ein Millionen-Geschäft, heruntergebrochen auf den einzelnen Nutzer sicherlich finanzierbar.

Was kann geregelt werden, was nicht?

Der Casus Knacksus wäre schlussendlich nicht das „ob“, sondern das „wie“ einer solchen Pflichtversicherung. Im Rahmen der Durchsetzung einer derartigen Versicherung muss es Übergangsfristen geben, sonst wären tatsächlich Millionen von Pedelecfahrern plötzlich illegal unterwegs. Das kann nicht sein. Fraglich ist ebenfalls, inwieweit das Pedelec schlussendlich einem „Kraftfahrzeug“ gleichgestellt wäre. Wäre es genau so eingestuft wie ein S-Pedelec, würde die unschätzbaren Vorteile der Freiheiten der Pedelec-Fahrer aufgehoben: Dass man sich eben nicht ausschließlich im öffentlichen Straßenverkehr fortbewegen muss, sondern auch Radwege, Forstwegen, Waldwege, Trails, etc. nutzen darf, im friedlichen Miteinander.

Biken mit dem eMTB: Wie lange noch?

Damit könnte bald Schluss sein: E-Biken im Wald

Wenn das so (also Pedelec = Kraftfahrzeug) kommt, kann dies tatsächlich das Ende des Pedelec-Booms bedeuten. Es gäbe allerdings auch Alternativen. Entweder die EU führt eine eigene Kategorie „Pedelecs“ ein, die zwar versicherungspflichtig aber von der stringenten Benutzung der öffentlich Straßen ausgenommen wären. Für die Durchführung könnte das Mitführen eines Versicherungsausweises ausreichend als Dokumentation ausreichend sein. Ein Nummernschild am Pedelec wäre reichlich übertrieben. Das beträfe auch Hupe, Spiegel und Co, eigentlich überflüssig.

Stellungnahme des ECF

Die European Cyclist Federation bezieht in ihrem Positionspapier klar Stellung und nennt neben technischen Unterschieden das heranwachsen einer Hürde gegenüber der Nutzung von Pedelecs. Dies steht auch einem wachsenden Umweltbewustsein und der Nutzung alternativer Fortbewegungsmittel entgegen.

Im Oktober 2018!

Position des Zweirad-Industrie-Verbandes

Der Vorsitzende des deutschen Zweirad-Industrie-Verbandes ZIV, Siegfried Neuberger, bezieht in einem Schreiben vom 12.06.2018 Stellung zum Vorschlag der EU:

„Die EU-Kommission hat am 24.5.2018 einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2009/103/EG über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht vorgelegt. Aufgrund verschiedener Gerichtsurteile des Europäischen Gerichtshofes ist eine Anpassung der Richtlinie 2009/103/EG erforderlich. Diese Initiative geht also nicht von der Versicherungswirtschaft aus.

Folgende Punkte sind von besonderer Bedeutung:

  • Insolvenz des Versicherers
  • Bescheinigung des Schadenverlaufs
  • Risiken infolge des Fahrens ohne Versicherungsschutz
  • Mindestdeckungssummen
  • Anwendungsbereich der Richtlinie

Der Geltungsbereich der Richtlinie 2009/103/EG soll nach Auffassung der EU-Kommission nicht verändert werden. Wie man dem folgenden Auszug aus dem Vorschlag entnehmen kann sind bereits in der aktuellen Version der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungs-Verordnung z.B. Elektrofahrräder enthalten. Durch die rechtliche Gleichstellung von E-Bikes 25 mit Fahrrädern (z.B. in Deutschland und allen anderen EU-Mitgliedstaaten) unterliegen diese jedoch keiner Haftpflicht-Versicherungspflicht. Im Gegensatz dazu werden z.B. schnelle E-Bikes (45 km/h) und Segways in Deutschland bereits heute als Kraftfahrzeuge eingestuft und benötigen eine Haftpflichtversicherung (Versicherungskennzeichen).

Auszug aus dem Vorschlag:

(…) die EU-Bürger im Falle eines Unfalls geschützt werden müssen. Außerdem wird in der Folgenabschätzung festgestellt, dass neue Kraftfahrzeugtypen, wie Elektrofahrräder, Segways und Elektroroller bereits in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. Die Nutzung dieser neuen Typen von Elektrofahrzeugen im Verkehr kann zu Unfällen führen, deren Opfer geschützt und zügig entschädigt werden müssen. Allerdings sieht die geltende Richtlinie auch vor, dass die Mitgliedstaaten solche Fahrzeuge von der Kfz-Haftpflichtversicherung ausnehmen können, wenn sie dies für erforderlich halten. Bei der öffentlichen Konsultation riefen mehrere Verbände der Elektro-Fahrradindustrie dazu auf, solche Fahrzeuge von der Richtlinie auszunehmen, da die Einführung von Elektrofahrrädern gebremst werden könnte, wenn eine Haftpflichtversicherung verlangt wird. Dies wird angesichts der Befugnis der Mitgliedstaaten, elektrische Fahrräder oder andere neue Elektrofahrzeuge freizustellen, nicht für erforderlich gehalten. In diesem Fall würden die nationalen Garantiefonds die Kosten für die Entschädigung der Opfer von Unfällen tragen, die von diesen neuen Fahrzeugtypen verursacht werden. Damit ist das höchste Schutzniveau für Opfer gegeben, ohne dass zusätzliche Maßnahmen auf EU-Ebene erforderlich wären. (…)

Es ist für die zukünftige Marktentwicklung von E-Bikes in Deutschland und Europa von entscheidender Bedeutung, dass E-Bikes 25 wie bisher keine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung benötigen. Wir werden gemeinsam mit den europäischen Verbänden CONEBI und ECF die notwendigen Strategien für die Gespräche mit dem EU-Parlament und dem EU-Rat diskutieren und festlegen. Auf deutscher Ebene werden wir unsere Vorstellungen mit dem ADFC, weiteren Verbänden sowie den entsprechenden Ministerien diskutieren.

Aus unserer Sicht ist es von besonderer Bedeutung, dass wir versuchen müssen E-Bikes 25 grundsätzlich aus der Richtlinie auszunehmen, um eine europaweit einheitliche Regelung zu schaffen.“

Zwischenstand

Der EU-Vorschlages erörtert eine Regulierung im Schadensfalle durch nationale Garantiefonds. Wer bezahlt diesen? Ob schlussendlich nicht doch eine nationale Regulierung über eine Versicherung möglich sei, scheint dennoch offen. Der ZIV geht von einer generellen Haftpflichtbeitragsfreiheit aus und unterstützt die Regulierung dahingehend. Für die Fahrradindustrie, die Mobilitäts-Entwicklung und uns Verbraucher wäre dies sicherlich ein idealer Lösungsansatz.

Wir bleiben dran!

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