Gravelbike oder Trekkingrad: Wann sich welcher Fahrradtyp perfekt eignet
Der perfekte Fahrradtyp: Ein Gespräch über Gravelbikes und Trekkingräder
Gravelbike oder Trekkingrad: Wann sich welcher Fahrradtyp perfekt eignet
in Allgemein
Ein Gespräch über beide Radtypen, ihre Einsatzgebiete und die wichtigsten Kriterien bei der Kaufentscheidung.
Gravelbike oder Trekkingrad?
Hallo Juliane, hallo Michael. Wer eure Social-Media-Kanäle verfolgt, nimmt schnell zur Kenntnis, dass ihr fast täglich mit dem Fahrrad unterwegs seid. Wann begann eure Leidenschaft für das Radfahren?
Juliane Schumacher: Als Kind habe ich mit meinen Eltern ab und zu ein paar kleine Touren gemacht. Dann passierte aber über viele Jahre nichts, bis ich während meines Studiums mit einem Tiefeinsteiger regelmäßig zur Uni geradelt bin und gemerkt habe, dass mir das richtig gut tut.
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Schnell hat mir das nicht mehr ausgereicht und so kam ich zu meinem ersten Tourenrad und in die Welt der Radreisen. Nachdem ich im Jahr 2014 meinen Blog gestartet hatte, lernte ich nach und nach weitere „Spielarten“ des Radfahrens kennen. Als ich die ersten Gravelbikes sah, war mir sofort klar: So eines will ich auch haben. Und: Das könnte meine Art Rad zu fahren nochmal völlig verändern. Was es dann ja auch gemacht hat.
Trekkingrad: Das Rad für alle Gelegenheiten
Michael Dietz: Mein Weg zum Fahrrad war ganz schön lang. Als 16-Jähriger bekam ich zwar ein sportlicheres Rad geschenkt, mit dem ich zur Schule gefahren bin und sogar mal einen Triathlon mitgemacht habe.
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Die große Liebe ist damals aber nicht entstanden, sodass viele Jahre vergingen, in denen ich dem Radfahren keine besondere Aufmerksamkeit schenkte. Ich war bereits 40 Jahre alt, als ich mit Leuten in Kontakt kam, die komplett auf das Auto verzichteten.
Ich konnte das erst gar nicht glauben, war aber von diesem Lebensentwurf sehr begeistert. Ich beschloss, fortan nur noch mit dem Rad durch Köln zu fahren. Ich habe nach einem Fahrrad für alle Gelegenheiten gesucht, da kam bei der Beratung das Trekkingbike heraus. Bis heute bin ich dabei geblieben.
Über die Jahre seid ihr Experten in euren Lieblingsradgattungen geworden. Wie würdet ihr diese charakterisieren?
J: Das Gravelbike ist der perfekte Hybrid aus Rennrad und Mountainbike. Während das Rennrad mir zu limitiert ist in Bezug auf Reifenbreite, Untergrundwahl und Sitzposition, ist das MTB manchmal einfach etwas zu viel: zu groß, zu träge auf Asphalt und meist zu wenig Möglichkeiten Gepäck mitzuführen.
Gravelbikes: der perfekte Mix
Dafür ist es aber bequemer. Das Gravelbike verbindet das Beste aus beiden Welten: breitere Reifen sind möglich, die Sitzposition ist im besten Fall auch für Langstrecken komfortabel und ich habe genug Möglichkeiten, mein Gepäck ans Rad zu schnallen – oder das Rad notfalls so auszustatten, dass ich auch bei schlechtem Wetter mit Schutzblechen oder bei langen Reisen bzw. im urbanen Umfeld mit Gepäckträger aufrüsten kann. Das sportliche Rad für viele Gelegenheiten, wenn sicherlich auch nicht für alle.
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M: Das Trekkingrad ist DAS Allround-Fahrrad für alle Gelegenheiten. Gemütliche oder sportliche Fahrten, zum Einkaufen oder ins Schwimmbad, Touren über 20 oder 200 Kilometer, über Asphalt oder unebene Waldböden, bei Regen oder in der Dunkelheit.
Das alles ist mit dem Trekkingrad problemlos möglich. Dank einer großen Komponentenauswahl, wie zum Beispiel Nabenschaltung, Chain Glider, breite Reifen, kräftige Beleuchtung oder Nabendynamo, lässt sich ein Trekkingrad bis ins Detail auf die Wünsche des Fahrers zusammenstellen.
Trekkingrad: Sport nicht im Vordergrund
Ein weiterer Punkt: Die Sitzposition kann individuell angepasst werden. Somit ist das Trekkingrad für jeden zu empfehlen, der die Freude und den Nutzen des Fahrradfahrens kombinieren möchte. Für rein sportliche Fahrten ist es allerdings nur bedingt geeignet.
Da ihr beide keine gelernten FahrradmechanikerInnen seid: Wie habt ihr euch das technische Wissen angeeignet?
M: Über die Jahre kam ich mit immer mehr Menschen aus der Fahrradszene in Kontakt, die alle ein großes Fachwissen mitbrachten. Da ist es manchmal gar nicht so leicht, den Überblick zu behalten und bei allem mitzukommen (lacht).
Der Lerneffekt ist aber enorm, da kristallisiert sich immer wieder neu heraus, wie das eigene Rad eigentlich
perfekt ausgestattet sein muss.
J: Da stimme ich Michael komplett zu. Gerade über Social Media findet ein reger Austausch statt und man beschäftigt sich so schnell mit so vielen Dingen rund ums Rad, dass man enorm viel dazulernt.
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Nun gehen wir mal ins Detail: Michael, warum ist das Trekkingrad auch heute noch das optimale Rad für dich?
Meine Prämisse war und ist immer, dass es ein Fahrrad für alle Gelegenheiten sein muss. Egal, ob ich zum Bäcker um die Ecke oder eine lange Tour über 150 Kilometer fahre. Waldboden oder Asphalt, auch der Untergrund muss variieren können.
Gepäckträgertaschen am Trekkingrad
Ich habe auch immer meine Fahrradtaschen dabei, bin damit flexibel, was spontane Einkäufe unterwegs angeht. Ebenfalls ein wichtiger Aspekt für mich ist, dass ein Trekkingbike nicht den allzu sportlichen Charakter hat.
Juliane, wie kam es dazu, dass das Gravelbike heute deine Nummer eins ist?
Angefangen hat es bei mir ja auch mit einem Trekkingbike als Tourenrad, das mir heute noch treue Dienste erweist. Über die Jahre wurde es immer spezifischer, es kam das Thema Faltrad zum Reisen dazu.
Gravelbike und Bikepacking
Es ging damit weiter, dass ich agiler sein wollte und auch mal Lust auf Fahrten im Gelände hatte. Außerdem wollte ich auf Reisen leichter unterwegs sein, statt meinen Gepäckträger komplett vollzuladen. So habe ich mir Gravelbikes und das ganze Bikepacking-Thema drumherum angeschaut. Fortan wurde mir eine komplett neue Welt eröffnet, auch was die Gepäckreduzierung auf das Wesentliche anging.
Also ist das Gravelbike für dich ebenfalls ein Gefährt für alle Gelegenheiten, wie für Michael sein Trekkingrad?
Nicht ganz. In der Stadt beispielsweise fahre ich seltener mit dem Gravelbike, auch weil ich es nicht draußen anschließen will – das ist aber ein anderes Thema. Natürlich könnte ich es mit einem Gepäckträger ausstatten.
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Ohne ist es aber etwas agiler, leichter und einfach nur mit den nötigen Komponenten ausgestattet. So macht es einfach richtig viel Spaß, gerade wenn ich aus der Stadt rausfahre und mal abseits von Asphalt unterwegs bin. Mal spontan auf einen kleinen Trail abbiegen, was die breiteren Reifen ja ermöglichen. Oder das Rad mal über ein Hindernis drüberheben, aufgrund des geringen Gewichts alles kein Problem.
Agilität auf dem Gravelbike
Von dem her: Schnelle Ausfahrten ohne Gepäck oder kompakte Taschen an das Rad schnallen und leichtfüßig agil auf Reisen gehen – beides funktioniert mit dem Gravelbike für mich perfekt.
Michael, welche Punkte sprechen aus deiner Sicht klar gegen ein Gravelbike?
Ich wollte eben nur ein einziges Fahrrad haben. Das eine für alles und kein zusätzliches Zweitrad für Touren. Das konnte in meinen Augen nur das Trekkingbike erfüllen, das ohne vollbeladene Taschen auch ganz schön Geschwindigkeit aufnehmen kann.
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Wenn ich zur Arbeit mit sparsam gefüllten Gepäckträgertaschen auf 25 Stundenkilometer komme, reicht mir das vollkommen aus.
…und auf Tagestouren?
Da sind Distanzen von 150 Kilometern und darüber hinaus für mich problemlos zu fahren gewesen. Ob ich dafür acht oder neun, statt vielleicht sechs Stunden benötige, spielt für mich keine Rolle. Außerdem kommt für mich persönlich noch ein weiteres Kriterium ins Spiel, das fernab jeglicher Technik und Mechanik ist.
Der Weg zur Kaufentscheidung
Wir sind gespannt…
Das Auge fährt mit. Wenn ich beide Radtypen vor mir sehe, spricht mich das Trekkingrad einfach optisch mehr an als das sportlich geprägte Gravelbike. Ein nicht unwesentlicher Grund wie bei mir diese tiefe emotionale Verbindung von Mensch zu Trekkingbike entstanden ist (lacht).
Und bei dir, Juliane? Welchen Einfluss hatte das Optische auf deine Entscheidung?
Tatsächlich erstmal keinen allzu großen. Für mich war es das erste Rad mit einem Rennlenker, was eine große Umstellung darstellte. Innerhalb der Stadt empfinde ich einen geraden Lenker auch nach wie vor als angenehmer – mein Faltrad hat zum Beispiel einen.
Ich stimme Michael aber absolut zu und verstehe ihn total. Das Rad muss einen optisch ansprechen. Bei meinem Gravelbike ist das auch in allerhöchstem Maße gegeben (grinst).
Widmen wir uns mal dem Weg zu einer Kaufentscheidung. Welche Tipps und Empfehlungen könnt ihr unseren LeserInnen geben?
J: Zu allererst sollte der Einsatzzweck klar definiert werden. Ich habe mich in Zeiten, als ich nur ein Fahrrad besaß, auch für das Trekkingbike entschieden, weil es erstmal alles abdeckt. Mit Gepäck über Wurzeln fahren, oft mit zu schmalen Reifen, war mir allerdings zu wenig komfortabel.
Rahmengröße als wichtiger Aspekt
Da ich keine Federgabel wollte, kam das Gravelbike ins Spiel. Schnell auf Asphalt, aber trotzdem mit großem Spaß über Wald- und Schotterböden flitzen – dieser Mix wird mit dem Gravelbike meiner Ansicht nach perfekt hergestellt. Unabhängig vom Radtyp muss natürlich die Rahmengröße passen und klar sein, ob ich damit mehr im Flachen, wie bei mir in Berlin und Brandenburg, oder in den Bergen, wie vielleicht im Allgäu, unterwegs sein werde.
Dementsprechend sollte die Übersetzung der Schaltung ausfallen. Ein weiterer wichtiger Punkt, gerade beim Gravelbike: Möchte ich Gepäck mitnehmen können und welche Aufnahmemöglichkeiten sind gegeben? Sind Ösen an der Gabel oder am Rahmen für die Montage eines Gepäckträgers vorhanden oder wie viele Flaschenhalter können montiert werde?
Die richtige Sattelauswahl beachten
M: Ich würde noch die Auswahl des Sattels ergänzen. Die ersten Jahre bin ich mit einem viel zu weichen unterwegs gewesen und wunderte mich immer, wie schnell Sitzbeschwerden auftraten. Auf der Suche nach einem passenden Sattel stellte ich schnell fest, dass dies eine Wissenschaft für sich ist.
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Nach perfekter Beratung steigerte ich meinen Tour-Radius immer mehr. Von anfangs zehn über 50 auf später mehr als 100 Tageskilometer. Und das sogar ohne gepolsterte Radhose. Weiter müssen die anderen Kontaktpunkte wie Pedale und Lenkergriffe stimmig sein. In puncto Schaltung stimme ich Juliane zu, da es total auf das Einsatzgebiet ankommt.
Wenn das Terrain nicht zu bergig ist, schwöre ich beim Trekkingrad auf eine Nabenschaltung mit Vollkettenschutz. Grund: weniger Wartung, mehr Zeit zum Radfahren (lacht).
Nun sprecht ihr beide euch ja klar für das Gravelbike bzw. Trekkingrad aus. Was müsste passieren, dass ihr für jeweils einen Tag eure Räder gegeneinander eintauschen würdet?
J: Wenn ich mich ausschließlich im urbanen Raum bewegen und mein Rad während eines Einkaufes draußen anschließen würde. Für größere Einkäufe eignet sich das Trekkingbike eindeutig besser, nicht zuletzt, weil ich an meinem Gravelbike keinen Gepäckträger montiert habe.
Fahrspaß mit dem Gravelbike
Es ist ein absolutes Spaßrad, das gebe ich gerne zu (lacht). M: Bei starkem Wind habe ich mir tatsächlich schon oft insgeheim ein Gravelbike herbeigewünscht. Gerade im Winter, wenn die Witterung ohnehin schon etwas rauer ist, stelle ich mir die tiefe und dadurch sportlich-aerodynamische Sitzposition bei zusätzlichem Gegenwind etwas angenehmer vor.
Selbst ausprobiert habe ich ein Gravelbike zwar noch nicht, Julianes Ausführungen haben mir aber verdeutlicht, für welche Fahrten es tatsächlich die optimale Lösung ist.
Und umgekehrt, Juliane, lässt sich abschließend ja auch feststellen, dass das Gravelbike das Trekkingrad auch nicht komplett in die Bedeutungslosigkeit geschickt hat, oder?
J: Auf gar keinen Fall. Beide Räder sind eben für verschiedene Verwendungszwecke ausgelegt, die man vorher bestmöglich für sich definieren sollte. Ihre Daseinsberechtigung haben weiterhin beide. Wie übrigens ja jedes andere Fahrrad genauso.
M: Absolut. Denn in einer Sache sind wir uns ohnehin alle einig: Jedes Fahrrad, das ein Auto in der Stadt ersetzt, ist ein Segen für den urbanen Verkehr.
Ein Schlusswort, dem von unserer Seite aus nichts mehr hinzuzufügen ist. Liebe Juliane, lieber Michael, wir danken euch für das sehr interessante Gespräch.