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Frauen und das Radfahren als Schubhilfe der weiblichen Emanzipation

Radfahren als Schubhilfe der weiblichen Emanzipation

Frauen und das Radfahren als Schubhilfe der weiblichen Emanzipation

Mobil sein, sich persönliche Freiräume schaffen sowie zu mehr Lebensqualität und Gesundheit finden – dazu hat das Fahrrad die Frauen in den USA und Europa gegen Ende des 19. Jahrhunderts angeregt. Der schrittweise Weg zu mehr Freiheit gestaltete sich allerdings bisweilen auch etwas schwierig.
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Frauen, die im Stadtverkehr beherzt in die Pedale treten, mit dem E-Bike die Kids im Kinderanhänger zur Kita bringen oder per Mountainbike einen Alpencross wagen? Im späten 19. Jahrhundert war die Rad fahrende Frau eine unerhörte Begebenheit. Nicht selten empfand man Radfahrerinnen als dreiste Provokation gegen die etablierte Gesellschaftsordnung.

Frauen auf dem Fahrrad? Damals undenkbar

Radfahren war schon naturbedingt Sache des stärkeren Geschlechts – so war es gesellschaftlicher Konsens. Jungspunde auf Hochrädern wurden bewundert, Radlerinnen in Zeitungskarikaturen verspottet.

Frau sein hieß in Europa und den USA im späten 19. Jahrhundert meist ein Leben im Schatten des Mannes zu führen, sich um häusliche Angelegenheiten und die Kindeserziehung zu sorgen. Und: dabei möglichst gut auszusehen. Große Pläne machen und umsetzen? Männersache!

Der Kleidung wegen: Frauen konnten nicht Radfahren

Radfahren war also zunächst eine Männerdomäne, was auch damit zu tun hatte, dass die anfängliche technische Entwicklung des Fahrrads männliche Radfahrer begünstigte. Nur schwer beherrschbar war das Drais´sche Urfahrrad von 1817, das per wechselseitigem Abstoßen der Füße vom Boden in Vortrieb gebracht wurde.

Eine diffizile Angelegenheit für die Damenwelt, schließlich bildeten bodenlange Röcke die Standardbekleidung, die sich allzu leicht in der Laufmaschine verheddern konnte.

Spezielle Frauen-Fahrräder? Braucht es das? 

Daran änderte auch der zweite Meilenstein auf dem Weg zum heutigen Fahrrad nichts. Das Michaux-Vélocipéde von 1867, das mittels der an der Vorderradachse befestigten Tretkurbel beschleunigt wurde und gleichzeitig ausbalanciert werden musste, war schon für den Radfahrer mit Hose ein Kraftakt. Damen hatten mit Rock und beengendem Korsett ein echtes Handicap.

Nichtsdestotrotz: Die ersten Frauen, die sich Ende der 1860er Jahre auf eines der damals neumodischen Vélocipédes wagten, müssen die beflügelnde Kraft des Radfahrens gespürt haben. Eine Ahnung, dass Radfahren eben nicht nur Radfahren und Fahrspaß bedeutet, sondern in der patriarchalischen, deutschen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts auch mehr Freiheit versinnbildlicht – sowohl räumlich, als auch gedanklich.

Französische Radrennfahrerin mit dem Künstlernamen „Mademoiselle Serpolette“ (1899)

Französische Radrennfahrerin mit dem Künstlernamen „Mademoiselle Serpolette“ (1899)

1868: Die ersten Frauen beim Radrennen

Vor diesem Hintergrund verwundert nicht, dass man schon bei der Vélocipéde-Rennpremiere 1868 in Frankreich einige Frauen im Teilnehmerfeld verzeichnete. Eine Tatsache, die vom Publikum belächelt wurde. Die mitunter außerordentlichen körperlichen Anstrengungen eines Radwettbewerbs, der Siegerschweiß auf der Stirn? Das stünde der Frau nicht zu Gesicht und wäre ein Akt wider die weibliche Natur.

Zumal die Meinung vorherrschte, Radrennfahrerattribute wie Kampfgeist, Spurtkraft und Ehrgeiz seien von der Frau nur in deutlich geringerem Maße zu entwickeln. Hohn und Spott so mancher Mitmenschen dürfte die Radfahrerinnen allerdings in ihrem Entschluss, die Freiheit auf dem Rad zu entdecken, gestärkt haben.

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Neues Selbstbewusstsein und veränderte Kleiderordnung: Die Effekte des Radfahrens

Zu verlockend die Vorstellung, endlich – und sei´s nur für eine Damenausfahrt – aus dem Schatten der Männer zu treten; nicht damit beschäftigt zu sein, das Bild der grazilen Frau aufrechterhalten zu müssen. Begeisterte Radlerinnen hat das nicht aufgehalten, wie die waghalsigen europäischen  Hochradrennen der 1870er/80er Jahre auf der Bahn zeigen.

Wenn der Damenradsport jahrzehntelang oft verpönt war, so half er seinen Protagonistinnen dabei, zu einem neuen, erfrischenden und lebensbejahenden Selbstbewusstsein zu finden.

Das Damenradfahren ging dabei automatisch auch mit der Verletzung der Kleidungsetikette einher, wozu man sich in einer Welt, die größten Wert auf Stand und Äußeres legte, bewusst entscheiden musste. Fuhren die ersten Radfahrerinnen zunächst noch mühselig im langen Rock, wurde daraus in den 1890er Jahren ein geteilter Rock.

Eine deutliche Verbesserung der Beweglichkeit bildete schließlich das Radfahrerkostüm aus weiter Pumphose und dezent sportlichem Oberteil. Insbesondere dem nicht Rad fahrenden Teil der Bevölkerung war das unheimlich: Womöglich hätten Frauen ja bald tatsächlich „die Hosen an“!

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Fahrrad-Boom dank revolutionären Modells

Gegenwind schlug den Radfahrerinnen im späten 19. Jahrhundert ebenso von medizinischer Seite entgegen, obwohl das Fahrrad in den 1890er Jahren in Europa und Deutschland seinen ersten Boom erleben sollte. Wesentlich verdankte sich dieser der neuen Radtechnik. Denn durch Einführung des schnelleren, leicht zu kontrollierenden Sicherheitsniederrads mit Kettenantrieb ab Mitte der 1880er, stand das Fahrrad plötzlich für echten Fahrspaß.

Und in dessen Genuss kamen auch immer mehr Frauen. Ein Rad stellte in diesen Jahren indes noch eine gewaltige Investition dar, was die Käuferschicht zunächst auf wohlhabendes Bürgertum und Adel begrenzte.

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Fahrradfahren für Frauen ungesund? Die Medizin des 19. Jahrhunderts

Als unstatthaft betrachteten Sitte und Ärzte die rhythmisch pedalierende Frau auf dem harten Fahrradsattel: Der könne schließlich, so die Befürchtung, zum Zwecke der Masturbation zweckentfremdet werden und längerfristig womöglich sogar die weibliche Fruchtbarkeit einschränken. Dass das Vélo-Fahren Körper und Geist unabhängig vom Geschlecht ungemein anregt und die Gesundheit stärkt, muss so manchem Arzt damals offenbar entgangen sein.

Anlass für die mitunter abenteuerlichen Annahmen über die gesundheitlichen Folgen für die Radfahrerin gab die verstaubte, lustfeindliche Sexualmoral des 19. Jahrhunderts. Überhaupt wollte man den Frauen keine engagierte Fahrweise auf dem Rad zumuten – und noch weniger zutrauen.

Fahrradgöttin auf dem Plakat, aber nicht auf der Straße

Das steht im spannenden Kontrast zur frühen Fahrradreklame, die das Fahrrad an der Wende zum 20. Jahrhundert gern mit athletisch anmutenden Fahrerinnen in Siegesposen auf Plakaten und Emailleschildern in Szene setzte. Selbst die Steigerungsform – die stilisierte, sinnliche Fahrradgöttin, die per grazilem Vélo höheren Sphären entgegenstrebt – wurde geschickt zur Verkaufsförderung genutzt.

Werbeplakat aus dem Jahr 1905

Werbeplakat aus dem Jahr 1905

In der Realität musste sich die Radfahrerin Feld- und Pflasterwege allerdings erst mühsam erkämpfen. Und auch Damenradrennsport wurde lange Zeit in den Hintergrund gedrängt.

Die radelnde Dame sahen die Befürworter eines stark konservativen Rollenverständnis Ende des 19. Jahrhunderts zu gern als Teilnehmerinnen des damals in Mode gekommenen Fahrrad-Blumenkorso. Festlich gekleidete Frauen, die auf prächtig geschmückten Rädern einen Fahrradfestzug in Formation vollführen? Freilich: Schön anzusehen, aber eben sehr brav und wenig kreativ.

Das Fahrrad als Symbol von freien und unabhängigen Frauen

Aufhalten ließen sich überzeugte, freiheitsbewusste Radfahrerinnen deswegen aber nicht. Erst recht nicht kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert, als das Vélo infolge von Serienfertigung und zunehmender Konkurrenz unter den Herstellern allmählich günstiger und damit ebenso von Frauen aus der Arbeiterschicht zumindest als Gebrauchtversion erworben werden konnte.

Damit kamen nun weite Teile der weiblichen Gesellschaft in den Genuss des freiheitlichen Lebensgefühls, dass das Fahrrad befeuerte. Überdies wurden Frauen mobiler, konnten ihren Arbeitsplatz besser erreichen. Das Fahrrad wurde zum Symbol einer zunehmend mobileren Gesellschaft und einer unabhängiger werdenden Frau, die ihre Rechte stärker einfordert.

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Mutige Fahrradabenteurerinnen à la Annie Londonderry

Der inspirierende Funken des Fahrrads zu mehr Selbstständigkeit und selbstbewusstem Auftreten in der Öffentlichkeit sprang seinerzeit auf frühe Fahrradabenteurerinnen wie die US-Amerikanerin Annie Londonderry über. Sie nutzte zwischen 1894 und 1895 das Fahrrad für ihre Weltreise und legte tausende Kilometer im Fahrradsattel zurück.

Und auch, wenn die Radpionierin mit einem gesunden Talent zur ausschmückenden Selbstvermarktung einen guten Teil ihrer kuriosen Reise mittels Bahn und Schiff zurücklegte, demonstrierte die eigensinnige Londonderry Zielstrebigkeit, Mut und Umsetzungsvermögen. Eigenschaften, von denen es männliche Abenteurer gewohnt waren, sie für sich beanspruchen zu dürfen.

So haben Radlerinnen wie Londonderry um 1900 die Frauen dieser Zeit zu mehr Souveränität und dem Erreichen selbstbewusster Ziele aus eigener Kraft angeregt.

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