Griffe fürs Rad im Test: Ergogriffe für mehr Komfort

Gut Griff - viel Freud!

Griffe fürs Rad im Test: Ergogriffe für mehr Komfort

Schlechte Griffe machen eine Tour schnell zur Tortur. Doch welche bieten in Ergonomie, Sicherheit und Griffgefühl echte Vorteile? Wir haben 24 Griffpaare im Labor und auf Tour in Handgreiflichkeiten verwickelt.
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Die Sonne lacht vom Himmel, der Radweg verläuft in weichen Bögen vor mir, mein Tagesziel liegt etwa 20 Kilometer entfernt und der Platz fürs Abendmahl ist auch gebucht. Eigentlich schöne Aussichten. Wären da nicht zwei taube Finger und ein leichter Schmerz im Handgelenk. Sie begleiten mich schon über die Hälfte der zurückgelegten Strecke. Das bringt keine Lust, sondern Frust beim Radfahren …

Aber damit bin ich nicht allein, denn etwa 80 Prozent aller Radfahrer kennen Kribbeln und Taubheitsgefühle in den Fingern oder Handgelenksschmerzen. Das ist erschreckend, weil oft ein paar Griffe diese Probleme unterbinden und auf Dauer sogar eliminieren können. Hochwertige Griffe sind schnell gekauft, zügig montiert und versprechen meist eine schnelle und effektive Besserung. Das größte Problem: die unendliche Auswahl. Hier den Überblick zu behalten, ist unmöglich! Deshalb haben wir 30 Hersteller angefragt, uns einen ergonomisch gezeichneten Griff mit ausgeprägter Flosse und Schraubklemmung für einen Vergleichstest zuzusenden. Unter den Traditionsherstellern, Big Playern und innovativen, wie kleinen Firmen haben am Ende 24 reagiert und Muster zugesandt.

Wodurch entstehen Probleme?

Beim Radfahren gibt es drei Kontaktpunkte vom Menschen zur Maschine. Neben den Pedalen und dem Sattel haben die Griffe einen großen Anteil am Wohlfühlfaktor. Unsere Arme leiten je nach Sitzposition bis zu 25 Prozent unseres Körpergewichtes über die Hände auf die Griffe ab. Von dort aus finden sämtliche Übermittlungen der Schalt-, Brems- und Lenkimpulse statt. Stimmen im Zusammenspiel von Sitzposition, Griff- und Lenkerform, ergonomischen Gegebenheiten und persönlichen Vorlieben ein oder mehrere Parameter nicht, führt das schnell zu Druckspitzen, Überlastungen und Fehlstellungen. Warum gerade die Hand so anfällig ist, liegt in zwei Bereichen des Handgelenks und der Innenhandfläche: Dort liegen sensible Blutgefäße und Nerven, die sich bei einer falschen Handposition oder unpassender Griffform mit Reizungen und Schmerzen bemerkbar machen.

Für Probleme im kleinen und Ringfinger ist der Ulnar-Nerv die Ursache. Er verläuft an der Außenseite der Hand. Bekommt etwa der Handballen zu viel Druck an der falschen Stelle ab, können diese Bereiche gequetscht werden. Eine Lösung ist, den Druck an dieser Stelle über eine große Fläche abzuleiten. Treten indessen Probleme in Daumen, Zeige- und Mittelfinger auf, liegt der Grund im Karpaltunnel. Er ist ein schmales Nadelöhr im Handgelenk, das sich Sehnen, Blutgefäße und Nerven teilen. Wird dieser Durchgang durch erhöhten Druck oder ein abgeknicktes Handgelenk verengt, kommt es schnell zu Kribbeln oder einschlafenden Händen. Deshalb sollte der Übergang vom Unterarm zur Hand möglichst gerade und ohne zu starkes Abknicken des Handgelenks nach außen oder unten verlaufen.

Was hilft bei Handproblemen?

Treten auf Tour Probleme auf, kann das regelmäßige Ausschütteln der Hände für eine kurzfristige Abhilfe sorgen. Sind Lenkerhörnchen vorhanden oder ist ein Multifunktionslenker mit mehreren Greifvarianten verbaut, lässt sich unterwegs einfach und schnell umgreifen. Der Positionswechsel sorgt für Linderung, weil sich die Druckverteilung und Belastung verschiebt. Zusätzlich aktiviert das kräftige Greifen an Hörnern bestimmte Muskeln, wodurch die Durchblutung mobilisiert wird. Wer einen verstellbaren Vorbau am Rad hat, kann den Lenker höherstellen. Damit reduziert sich der Druck auf die Hände und steigt im Gegensatz dazu am Gesäß an.

Griffe mit Flossen? Helfen!

Aktive Unterstützung erfährt die Hand durch Flossengriffe. Ihr charakteristischer Namen kommt durch die nach hinten herausragende Auflagefläche, die wie eine Flosse aussieht und den Druck in der Hand breiter verteilt und effektiver ableitet. Zusätzlich wird das Handgelenk unterstützt und der Karpaltunnel geschont. Druckempfindliche Nerven und sensible Blutgefäße werden entlastet und die unangenehmen Symptome reduziert oder gleich ganz verhindert. Die bessere Abstützung hat einen weiteren Vorteil: Die Haltearbeit von Hand und Arm wird verringert, was Kraft spart und den Komfort auf längeren Touren steigert. Damit Flossengriffe ihre Aufgaben verlässlich leisten können, sind sie meist gleich aufgebaut: Ein harter Kern gibt dem Griff Struktur, eine dort aufgesetzte Klemmung Schutz vor Verdrehen und den nötigen Halt auf dem Lenker. Weicheres Material auf der Oberfläche sorgt für gute Dämpfung und einen sicheren Griff. Die Kunst im Bereich der Flosse besteht darin, der Hand bestmöglichen Support bei gleichzeitig effektiver Dämpfung zu verleihen. Eigentlich zwei Eigenschaften, die sich gegenseitig ausspielen …

Wie finde ich den passenden Griff?

Damit ein Griff optimal zu Ihnen passt, gibt es einige Punkte zu beachten. So fällt der Blick als erstes auf die Schalthebel. Bei Kettenschaltungen finden sich meist Shimano Rapidfire- und Sram Trigger-Schalthebel, die mit Daumen und Zeigefinger betätigt und außerhalb des Griffes montiert werden. Dafür sind zwei gleich lange Griffe nötigt. Ist eine Nabenschaltung, etwa von Pinion, Rohloff oder Shimano verbaut, so befindet sich auf der rechten Seite ein Drehgriff. Hier wird ein kürzerer Griff verbaut. Selten zu finden sind zwei Drehgriff-Schalthebel für Kettenschaltungen, die auf zwei kurze Griffe setzen. Welcher Hersteller die jeweiligen Versionen anbietet, ist in den Testkästen ab Seite 48 angegeben. Alle drei Varianten bietet im Test nur Velospring. Zwei Varianten sind bei Acid, Bontrager, Brooks, Contec, Ergotec, Herrmans, M-Wave, NG-Sports, Voxom und Wittkop zu finden.

Der zweite Schritt ist die passende Form zu finden. Sportler wählen kompakte Modelle mit kleiner Flosse, weil diese eine aktive Fahrweise unterstützt. Die Hand kann besser um den Griff rotieren, was vor allem im MTB-Bereich Vorteile bringt. Alltags- und Tourenradfahrer profitieren von einer größeren Flosse durch die bessere Druckableitung und Unterstützung. Zudem steht der generelle Komfort im Vordergrund. Hersteller wie Acid, Brooks, Ergon, Merida (je 2) oder SQlab (3) bieten verschiedene Größen an. Die Größe des Griffes sollte sich an der Handgröße orientieren. Personen mit kleinen Händen greifen zu kleinen, Personen mit großen Händen zu großen Griffen. Je nach persönlicher Vorliebe sollte man aber nicht zwingend daran festhalten, weil individuelle Präferenzen durchaus anders ausfallen können. Der Trend, für Damen speziell designte Produkte anzubieten, findet sich bei Griffen übrigens nicht. Bis auf Syncros bieten alle Hersteller Unisex-Modelle und sind sich einig, dass der Griff eher nach Einsatzbereich, Form, Größe und persönlichen Vorlieben gewählt werden sollte.

Bei Problemen: Spezialisten aufsuchen!

Wer nicht weiß, was er will, sollte von einem Online-Kauf absehen. Der erste Anlaufpunkt ist daher der fachkundige Händler vor Ort. Er kann mit seiner Expertise bei der Suche nach dem individuell besten Griff beratend zur Seite stehen. Wer zudem die Möglichkeit bekommt, Testgriffe Probe zu fahren, sollte diesen Service annehmen! So kann man in der gewohnten Alltags- und Tourenumgebung schnell herausfinden, ob der Griff zu einem passt. Bestehen trotz hochwertiger Griffe Handprobleme, sollte man einen Radfitting-Spezialisten aufsuchen. Dieser betrachtet das Gesamtsystem aus Fahrer, Rad und Einzelkomponenten und kann die Problemstellen zügig erkennen. Etwa, wenn Sitzposition, Lenkerform und Einsatzbereich nicht zusammenpassen. Bei Bedarf kann das Rad angepasst und Probe gefahren werden. Bestehen allerdings Vorschädigungen oder Krankheiten, ist es sinnvoll, einen guten Sport-Orthopäden mit einzubeziehen.

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So testet Radfahren

Damit Sie den bestmöglichen Überblick erhalten, werden die Griffe nach Eingang gewogen, vermessen und die Eckdaten wie Form, Material, Klemmung, Oberflächen, Materialien und Verarbeitung überprüft. Anschließend wandern sie ins Fotostudio und dann auf die Testräder. Dort werden sie von kleinen wie großen Händen, Frauen wie Männern sowie ohne und mit Handschuhen im Alltag, einer längeren Tour und im Sporteinsatz gefahren und anschließend bewertet. In einer Sitzung werden alle Werte diskutiert und die Endergebnisse zusammengefasst. Diese können Sie in den jeweiligen Testbriefen ab Seite 48 miteinander vergleichen. Weil die jeweiligen Überpunkte unterschiedliche Relevanz haben, werden Druckverteilung und Greifkomfort je 30, der Dämpfung 20, der Kontrolle 10 und der Verarbeitung sowie dem Gewicht je 5 Prozent zugewiesen. Bei der Druckverteilung werden alle Griffe mit einer Messfolie im Labor untersucht. Dazu sitzt ein Proband auf einem Ergometer, welches eine durchschnittliche Trekkingrad-Sitzposition samt dazu passendem Lenker bietet. Die gemessenen Daten lassen eine direkte Vergleichbarkeit bezüglich Druck-Spitzen, -Mittelwert, -Verteilung und Auffälligkeiten zu. Bestwerte zeigen hier Acid, Ergotec, SQlab und Velospring, während Giant und Velo die ungünstigsten Werte aufweisen. Einen direkten Vergleich aller Druckbilder finden Sie auf Seite 53.
In der Praxis spielt der Greifkomfort die größte Rolle. Hierbei achten wir auf die Unterstützung der Hand, die Stützbreite, den Durchmesser, die Oberflächen, die Haptik der eingesetzten Materialien, homogene Übergänge von und zur Flosse sowie die Einbindung der Klemmstellen. Aber auch störende Kanten, kalte Aluminiumoberflächen und hervorstehende Schrauben werden notiert. Da die Unterschiede ohne oder mit Handschuhen durchaus gravierend ausfallen, erfolgt die Bewertung ohne Handschuhe. Die besten Eindrücke hinterlassen Ergon, Ergotec, Velo und Velospring. Die größten Abzüge gibt’s bei M-Wave und XLC.

Die Dämpfungscharakteristik ist wichtig, weil damit Komfort und Ermüdungserscheinungen einhergehen. Wird viel und gut dämpfendes Material an den richtigen Stellen eingesetzt, werden Vibrationen und Schläge effektiv verringert. Bontrager, Merida, NG-Sports, Procraft, Syncros, Velo und WTB agieren herausragend, während sich Brooks, Herrmans, M-Wave und Pro straff zeigen.

Mit Blick auf die Kontrolle achten wir auf eine gute Struktur und griffige Oberfläche. Aber auch die Erreichbarkeit von Brems- und Schalthebeln, ohne an Kanten, Schrauben oder Griffenden zu streifen, ist wichtig. Weiterhin spielen eine gute Hinterschneidung der Flosse auf der Unterseite, das Verhalten bei Nässe sowie das Feedback vom Rad eine Rolle. In Summe heimsen Bontrager, Contec, Ergotec, Herrmans, Procraft, Ritchey, Supacaz, Syncros, Velospring und WTB die meisten Punkte ein.

Bei der Verarbeitung betrachten wir die Wahl, Platzierung von Material, überstehende Kanten und Fertigungsrückstände, die Oberflächenbeschaffenheit, Übergänge verschiedener Bereiche sowie die optische Note. Bestnoten gibt’s bei Brooks, Ergon, Ergotec, Herrmans, NG-Sports, Procraft und Supacaz. Da oft ohne Handschuhe gefahren wird, sollte auf Weichmacher, krebserregende Stoffe und Allergene verzichtet werden. Hier bekommen Ergon, Ergotec und SQlab Extralob, weil sie höchste Standards, etwa der Schnuller- oder Spielzeugnorm ansetzen.

Details bringen Mehrwert

Ein Feature besonders wichtig: Die Schraubklemmung steht für eine dauerhaft sichere Montage selbst bei Nässe und unterschiedlichsten Temperaturen. Sie stellt auch sicher, dass sich die Flossenform nicht verdreht und somit immer den optimalen Support bietet. Auch ist der Griff sofort einsatzbereit, weil ein Auslüften von Montagehilfsmitteln entfällt. Bei den Klemmschellen gibt es verschiedene Varianten: Eine innen- und außenliegende Doppelklemmung ist redundant und damit besonders sicher (Bontrager, M-Wave, Pro, WTB). Eine innenseitige Montage klemmt im oft verstärkten Lenkerbereich der Armaturen und wird von 16 Herstellern eingesetzt. Wird eine Spreizklemmung am Lenkerende (Velospring) oder eine punktuelle Druckklemmung über Madenschrauben (Merida, Pro) eingesetzt, sollte bei leichten Aluminium- und Carbonlenkern die Herstellerfreigabe eingeholt werden.

Mit Blick auf die Schraubenköpfe sind 4- (Ergon, M-Wave, Velospring, WTB) und 5-Millimeter-Inbus (SQlab) zu bevorzugen, weil sich diese weniger schnell runddrehen als kleinere Ausführungen. Werden wie bei M-Wave oder WTB zwei verschiedene Größen eingesetzt, führt das zu Punktabzug. Pluspunkte gibt es für auf dem Griff angebrachte Drehmomente (Acid, Bontrager, Brooks, Ergon, Ergotec, Pro, Procraft, Ritchey, SQlab, Wittkop). Eine Angabe zur Griffseite oder eine Ausrichtungshilfe bieten nur Ergon, Pro, Syncros und WTB. Beide Angaben sind nur bei Acid, Bontrager und SQlab zu finden. Weitere gute Details sind die Nachrüstbarkeit oder Integrationsmöglichkeit von Hörnchen, Klingeln, Spiegeln oder Werkzeug, wie es bei Acid, Contec oder SQlab der Fall ist. Aber auch die in Support oder Komfort fein abstimmbare Flosse bei Ergotec ist super. Und bei der Garantie haben SQlab mit 3, Velospring mit 5 Jahren sowie Bontrager mit einer „30-Tage-Geld-zurück“-Zufriedenheitsgarantie die Nase vorn.

Ergogriffe im Test: Alle Ergebnisse und Urteile

 

 

 

 

 

 

Legende: * Varianten: LL: lang-lang; LK: lang-kurz; KK: kurz-kurz – **Einsatzbereich: A: Alltag, T: Tour, S: Sport

Griffe im Test: Fazit

Fest steht: Ein guter Griff unterstützt die Hand und beugt Problemen vor. Der Test zeigt eindrucksvoll, dass im Detail große Unterschiede bestehen, die in der Praxis über „top“ oder „Flop“ entscheiden. Handgreiflich zu werden, hat beim Radfahren noch nie so viel Spaß gemacht! In unserem Test stechen am Ende sieben Modelle hervor: Gute Allrounder ohne echte Schwächen und damit eine Empfehlung wert sind Cube, Bontrager und Contec. Das bestmögliche Preis-Leistungs-Verhältnis ist bei Procraft zu finden. Wer indessen auf der Suche nach echten Problemlösern ist, sollte Ergotec, SQlab und Velospring probieren. Diese drei Griffe sind auch unsere verdienten Testsieger.

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