Mecklenburger Seen Runde, Reportage, Event

Mecklenburger Seen Runde: Reportage vom Radsport-Event

Wir sind Helden

Mecklenburger Seen Runde: Reportage vom Radsport-Event

300 km/Tag sind Reiz, ­Willen, Emotion. Durch Training und Teamwork werden sie zum machbaren Abenteuer. 4000 Teilnehmer packten 2024 die Mecklenburger Seen Runde (MSR) – auch unser ehemaliger Chefredakteur Daniel O. Fikuart.
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Flott fliegen wir dahin, verblüffend kraftsparend dank Windschatten. Vor fünf Monaten war ich noch Rennrad-Neuling. Nun bin ich mittendrin bei der „Mecklenburger Seen Runde“. Klingt gemütlich, ist es aber nicht. 300 Kilometer an einem Tag, mein erstes Langstrecken-Event. Ich rolle im vorderen Drittel einer geführten Gruppe mit, an die wir uns nach kurzer Rücksprache mit deren Guide anschließen konnten. Der hält stoisch 26 km/h, dahinter in Doppelreihen ein Dutzend Rennradfahrer, vier Frauen in Pink, ein Mountainbiker. Links neben mir: Kevin, mein „Bike-Buddy“. Der 21-Jährige achtet auf mich. Gibt taktische Tipps, bremst ein, falls mich das Rennfieber packt. Eigentlich könnte ich schneller, denn die Beine sind gut. Noch 250 Kilometer.

Zuerst ein Rauschen von hinten, dann ziehen Modell-Athleten an uns vorbei. Muskulös, Einer-Reihe, fokussiert. Bei denen mitzufahren, wäre ein Traum. Kevin ahnt, was ich denke, schert aus. „Komm, wir hängen uns ran.“ Hinterher, Vollsprint, schon zieht der Rennrad-ICE an. Wie ein Neigezug legen sich die Zweier-Reihen nacheinander synchron in die Kurvenfolge. Richten sich auf, neigen nach links. „Die fahren 54 km/h“, schnaufe ich. Elektrisierende zehn Minuten, dann nimmt mein Begleiter Druck aus den Pedalen. „Das halten die nie durch. Wir auch nicht.“

Ein unvergessliches Abenteuer: Die Mecklenburger Seen Runde fordert, macht aber auch viel Spaß

Mecklenburger Seen Runde, Reportage, Event

Schwingende Weiten, Felder, Alleen: Die MSR führt durch idyllische Landschaften, vorbei an vielen Seen

Start um 3.50 Uhr

Rückblick: 1.57 Uhr, drei Minuten vor der Weckzeit springe ich aus den Federn. Anziehen, Hosencreme, fingerdick. Arm- und Beinlinge überziehen, Müsli löffeln, Magnesium gegen Krämpfe schlucken. 12 Grad, stockdunkel, Akkulicht an. 15 Kilometer bis zum Start. Schaffen oder scheitern?

3.00 Uhr. Kurpark Neubrandenburg. Renn-Atmosphäre zwischen Hektik, Cool- und Happyness, Nervosität. Obwohl es bei der MSR keine Zeitnahme gibt. Motto: Erlebnis statt Ergebnis. Gruppen, Paare, Solisten – 2800 Helden der Landstraße wagen heute die 300er-Schleife. Gestern Abend gingen 700 Über-Nacht-Fahrer raus. Zählt man die 767 Amazonen der für Frauen reservierten MSR100 sowie die 350 Kids der Mini-MSR am Vortag dazu, sind 4300 Teilnehmer bei der 10. Edition der Mecklenburger Seen Runde dabei.

Dreißig Minuten vor dem Start liege ich auf einer Magnetfeld-Matte im Pavillon von Bemer. Feinste Schwingungen aktivieren meinen Körper, bis tief in die Kapillaren. Was bei Profis wie Joey Kelly funktioniert, sollte auch mich beflügeln. Gut vorbereitet bin ich wohl: 4200 Trainings-Kilometer über fünf Monate in den Beinen. Muskelaufbau im Studio für die Haltearbeit. Geschätzt 12 Stunden werde ich auf dem Bock sitzen. Dazu kommen zwei Stunden für Pausen. Und Massage, eventuell.

3.50 Uhr. Im Pulk rollt unser Startblock aus 80 Mitstreitern los. Alles easy … bis nach zwei Kilometern die Bergstraße steil nach oben zieht. Wie mein Puls. Kein Mensch oben am Plateau. Wenn’s hell wird, soll hier die Post abgehen: Fans beidseitig, Tröten, Laola, Applaus, Cheerleader-Girls.

Wir sind allein. Die anderen auf und davon. Eigenes Tempo finden, Mitfahrgelegenheiten nutzen, rät Kevin. Morgenröte am Horizont. Dann überholen zwei stämmige junge Männer, Team Schloss Fleesensee auf dem Rücken. Wir nicken uns zu … und bilden zwei Stunden lang ein Vierer-Team. Durchrotierend geben wir uns gegenseitig Windschutz. 31-42 km/h, schneller als gedacht.

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Start für unser Abenteuer MSR300 um 3.50 Uhr

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Eine Stunde Fahrt im Stockdunkeln, kurz vor 5 dämmert der Morgen

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Eigenes Tempo finden. Von den anderen sehen wir nur Rücklichter

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Interview bei 33 km/h: Der NDR produziert mit uns eine MSR-Reportage

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Weite Blicke: „Wunderschön hier“, sagen viele in der Gruppe

NDR-Report über MSR

Dann setzt sich ein VW Bus parallel neben unsere Vierer-Bande, hält spielerisch unser 33er-Tempo. Aus der offenen Schiebetür stellt mir Stefan, Redakteur beim NDR, Fragen zur MSR, zu unseren Motiven, hier teilzunehmen. Sein Kameramann sitzt auf dem Boden, aus dem Beifahrer-Fenster ragt eine Angel mit Mikrofon. 150 Kilometer weit begleitet uns das TV-Team, steht auf Verkehrsinseln, an Hauswänden oder Anstiegen. Von denen es auf den 1750 Höhenmetern der MSR300 gefühlt Hunderte gibt. Nein, die Mecklenburgische Seenplatte ist nicht platt. Urzeitliche Gletscher schoben hier – wie riesige Planierraupen – Geröll zu Rampen auf. Und formten ein abwechslungsreiches Hügelland mit einer Idylle aus tausend Seen.

Depot Schwarz, km 125, 3. von sieben Pausenstationen. Ich mampfe meine Riegel. Kevin schüttet salzige Nüsse in meine Hand. Gegen den Natriumverlust. An der Essensausgabe wähle ich dampfenden Haferbrei. Warm und köstlich, genau richtig jetzt.

Gruppendynamik & Teamwork

Gut, dass wir bislang auch in einer 26er-Gruppe mitrollen konnten. Erkenntnis: Teamwork macht die Langdistanz machbar. Aber: Du musst hellwach sein. Durch Ziehharmonika-Effekte, typisch fürs Fahren im Tross, müssen wir oft leicht abbremsen, um nicht aufzulaufen. Und nach Kurven energisch sprinten, um dranzubleiben. Dennoch: Das intensive Erleben von Gemeinschaft macht glücklich.

Eine schnellere 29 km/h-Gruppe ist startklar. Ideal für uns, da müssen wir mit! Kevin hat mich winken sehen, wird aber aufgehalten. Da er 45 Jahre jünger ist und deshalb bestimmt problemlos aufholen kann, folge ich wie paralysiert den Losfahrenden. Ist er dran? 20 Minuten in Sorge, dann hängt mein Begleiter am Hinterrad. Völlig ausgelaugt. „Allein keine Chance, euch einzuholen“, keucht er. Erst eine Speed-Gruppe, in die er mit letzter Kraft einschwenken kann, bietet ihm rettenden Windschatten und den nötigen Lift vor zu uns.

Zwischenfazit nach sechs Stunden: Fühle mich überraschend fit. Die Zuversicht steigt. Erstaunlich: Schmerzen, die ich vom Solo-Training kenne, blendet heute das Gehirn aus: Die Schuhe drücken nicht, keine Reibung in der Leiste, Handballen und Nacken sind ok. Mein Rose-Rennrad läuft perfekt. Seine Komfort-Geometrie, die elektronische Schaltung, der eigene SQlab-Sattel und das -Bikefitting zahlen sich aus. Ebenso die 32 mm-Breitreifen, die ich extra für die MSR aufgezogen habe. Zunehmend entspannt brettere ich über rissigen Asphalt, Gleise und Pflaster.

Grandios schwingende Landschaften, dichte Alleen, gelber Raps, roter Mohn, silberne Seen. „So schön“, ruft einer. Kevin hängt seit 30 Kilometern hinten drin. Es tut mir Senior gut, dass ich dem Junior Windschatten geben kann. So kann er sich schneller erholen. Gut auch, dass alle im Peloton zuverlässig Handzeichen geben. Jeder warnt vor Engstellen, zeigt Schlaglöcher oder Schienen an. Zieht einer seine Wasserflasche, mache ich es auch. So vergesse ich das wichtige Trinken nicht.

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Verdient großes Lob: der Reparatur-Service

Sieben Verpflegungs-Depots: Das Essen unterwegs ist nahrhaft und köstlich

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Gegen Krämpfe & Co.: Der Massage-Service ist kostenlos und Gold wert

Schweiß auf der Brille

Röbel, km 156, Depot 4. Ich schiebe eine Salzgurke in den Mund. Löffle Pasta mit Tomatensauce. Lutsche Kirschkuchen-Reste von den Fingern. Schnell noch in den Toilettenwagen. Fährst du im Team, muss das Timing fürs Trinken, Essen und Wasserlassen stimmen. Eigentlich auch für die Kleidung. Ab Kilometer 180 – so weit bin ich noch nie an einem Tag gefahren – kommt die Sonne raus. Und ich Depp trage noch immer Jacke, Arm- und Beinlinge. Schweiß tropft von der Helmkante, zieht diagonal über die Brille. Alle fahren kurz/kurz. Wann haben die sich bloß umgezogen?

Nossentiner Hütte, Depot 5, 195 km, 13.43 Uhr. Zehn Stunden bisher inklusive Pausen. Rüber zur Massage. Meine linke Wade verkrampft zunehmend, ein Magnesium-Shot aus meiner Notfall-Tasche konnte sie entspannen. Jetzt    müssen Profis ran. Ich reiße die nasse Windjacke runter, stopfe die Arm- und Beinlinge in die Satteltasche, füttere den Trinkgeld-Becher.

Abwechselnd im Wind

Da unsere letzte Gruppe längst auf und davon ist, bilden wir mit Wolfgang aus München ein Dreiergespann. Unsere Beine hämmern wie die Kolben einer Dampfmaschine. Die Jungs fahren länger im Wind, ich kürzer. Auf der gesamten Strecke, auch jetzt, stehen an Kreuzungen Helfer mit gelben Flaggen, stoppen den Verkehr, geben uns Vorfahrt. 670 Mitarbeiter sorgen dafür, dass sich das Räderwerk Mecklenburger Seen Runde reibungslos dreht. Applaus für alle.

Irgendwann zieht Wolfgang davon. Also wir weiter als Duo.  Kevins Schaltung klackert. Bald kann der Gute nur noch einen Gang nutzen. Will aber die finalen 80 Kilometer so weiterfahren. „Nix, wir lassen’s richten“, widerspreche ich. „Egal, wie lang es dauert.“

Alt Schönau, km 242, Depot 6. Unsere letzte Pausenstation. Die siebte wollen wir überspringen, weil sie kurz vor dem Ziel kommt. Biergarten-Atmosphäre, Lounge-Stühle zum Relaxen. Zuerst zum Bike-Service: Schaltzug gerissen. Ein neuer wird eingezogen. Euphorie im Rund: Wir rocken die MSR! Kevins Onkel, wie viele bei der MSR in einen geführten Zug eingebucht, informiert uns über ihre Abfahrtszeit. Wenn sich der Mechaniker sputet, müssen wir die letzten 60 Kilometer nicht alleine fahren.

Nackenhaare stellen sich auf

Noch 40 km. Freude kommt auf: im Tross wird  nicht mehr konzentriert geschwiegen, sondern geschwatzt und gescherzt. In den letzten Dörfern machen Zuschauer mächtig Rambazamba … und unsere Fahrt zum Triumphzug. Während zuvor vereinzelt Klatschende am Straßenrand  standen oder Hausfrauen in Campingstühlen Ratschen drehen und Kuhglocken läuten, sind hier Feierbiester in Aktion, machen Party, trommeln auf Ölfässern, applaudieren, feiern uns mit Laola-Wellen – Gänsehautgefühle, mir stellt’s die Nackenhaare auf. Wir überholen Paare, müde Einzelfahrer, Kleingruppen. Etliche schließen sich uns an, schnell sind wir 50. Freut mich: Mein Buddy mit den elastischen Beinen fährt ganz vorn. Im Wind. Neben dem Guide. Der zählt die Rest-Anstiege runter: 3, 2, 1. Wir bügeln alle glatt … mit der linken Pobacke. Noch 3000 Meter. Adrenalin schießt in die Adern. Rennfieber kommt auf! Das Tempo wird zackiger, die Sprints knackiger. Ich könnte weitere 50 Kilometer fahren, über das Ziel hinaus.

Wir sind im Flow. Fotografen, Blitzlichtgewitter – das ist unsere Show. 500 Meter vor dem Ziel bremsen uns die Guides ein: ruhig Blut, Formation halten, Mädels nach vorn. Tacho-Check: reine Fahrzeit 11 Std., 18 Min. Gesamtzeit: 14 Std, 3.50 bis 18.00 Uhr.

Noch 100 Meter. Frenetischer Applaus, die Stimme des Moderators überschlägt sich, Zielbogen, Jubel-Schreie. Wir sind Helden. Hier sind alle Helden. Meine strahlende Frau hängt mir die MSR-Medaille um, pures Gold. Ich recke die Faust in den Himmel, klatsche mit Kevin ab: „Thanks, klasse gemacht.“ Danke auch an MSR-Organisator Detlef Koepke. Mit deinem „Sei dabei. Du schaffst das auch“ hast du mir ein unvergessliches Erlebnis geschenkt.

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3.50 Uhr–18.00 Uhr: Nach 14 Stunden Abenteuer im Ziel, mit Medaille und glücklich

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„Super gemacht.“ Abklatschen mit meinem 45 Jahre jüngeren Bike-Buddy Kevin

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Für bessere Regeneration danach auf die Bemer-Matte: kein Muskelkater am Folgetag

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Das Rose Reveal AL 106 Di2 ist ein toller Gefährte


Du schaffst das auch!

Trainieren und mitfahren! Am 30./31.5.2025 findet die nächste Mecklenburger Seen Runde statt. Freitag, 30.5., starten ab 20 Uhr die MSR300-Nachtfahrer. Samstag, 31.5., ab 3 Uhr die MSR300-Tagstarter. Ab 8 Uhr folgt die MSR100-Frauenrunde (100 km, hier sind E-Bikes erlaubt). An zehn MSR-Veranstaltungen nahmen bislang 30.000 Fahrradbegeisterte aus 18 Ländern teil.

Am 1.Oktober um 20.25 Uhr wird die Anmeldung zur MSR 2025 freigeschaltet. Dann gibts auch hier Infos dazu.

www.mecklenburger-seen-runde.de

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