Bremsen: Sicher und souverän verzögern auf Fahrrad und E-Bike

10 Tipps für besseres Bremsen

Bremsen: Sicher und souverän verzögern auf Fahrrad und E-Bike

Ein saloppes Sprichwort besagt: Wer bremst, verliert. Das mag bei falschem Umgang durchaus zutreffen, taugt aber keinesfalls als pauschale Faustregel. Wir geben 10 Tipps, wie Bremsen mit Sicherheit große Gewinner hervorbringen.
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Wenn Max König in die Pedale tritt, darf es gerne etwas kräftiger sein. Und schnell voran gehen. Bei Regen, im Dunkeln, da macht der Ganzjahrespendler überhaupt keine Unterschiede. Zwar hart im Nehmen, wäre sein Sturz auf die Schotterpiste mit anschließender vierwöchiger Zwangspause bestimmt vermeidbar gewesen. Hätte er sich doch vorher Mal intensiver mit dem Thema Bremsen auseinandergesetzt – und einige unserer 10 Tipps in seinem morgendlichen Geschwindigkeitsrausch beherzigt.

Tipp 1: Ergonomische Justage der Bremshebel

Ihrem ersten Einsatz bei voller Fahrt sollte der Bremse die richtige Einstellung ihrer Bedienhebel am Lenker vorausgehen. Denn klar ist: Jede Hand ist anders, worauf Höhe, Weite sowie Druckpunkt individuell angepasst werden müssen. Um die Bremshebel richtig einzustellen, werden Inbusschlüssel, Torxschraubenschlüssel oder Kreuzschlitzschraubendreher benötigt. Je nach Länge des Bremsgriffs wird der Bremshebel soweit nach innen gerückt, dass ein Greifen des Griffes weit außen möglich ist. So entsteht die größtmögliche Hebelwirkung, wodurch weniger Kraft zum Abbremsen benötigt wird. Um den Winkel des Bremsgriffs richtig einzustellen, werden ein oder zwei Finger auf den Bremsgriff gelegt. Der Hebel wird soweit nach unten oder oben verdreht, bis Finger, Handgelenk und Unterarm in einer Linie zueinander stehen. Passt der Winkel des Bremsgriffs nicht, knickt das Handgelenk ab und es geht Bremskraft verloren. Bei langen Abfahrten können zudem die Finger einschlafen.

Tipp 2: Zeit zum Einbremsen nehmen

Beim erstmaligen Inbetriebnehmen einer Scheibenbremse oder nach einem Wechsel der Bremsbeläge sollten bis zu 30 moderate Bremsungen je vorne und hinten aus hohem Tempo um die 30 km/h gemacht werden. Der Effekt: Bremsbeläge werden durch einen chemischen Prozess stark erhitzt, wodurch das Material ausgast. So härtet der weiche Belag aus, ist fortan temperaturresistent und kann seine optimale Bremswirkung im perfekten Zusammenspiel mit der Bremsscheibe entfalten. Dieses Einbremsen sollte natürlich nur auf sicheren asphaltierten Flächen oder Wegen und keinesfalls mitten im fließenden Stadtverkehr vonstattengehen.

Tipp 3: Überbremsen vermeiden

Bremst man ausschließlich mit dem Vorder- oder Hinterrad, wird nur eine Kraft übertragen. Ist diese einseitige Kraft zu groß, kommt es zum Überbremsen und das jeweilige Rad blockiert. Um dies zu vermeiden, müssen Vorder- und Hinterradbremse im sinnvollen Zusammenspiel verwendet werden. Bewährte Erfolgsformel bergab: 70 Prozent vorne, 30 Prozent hinten. Wird ausschließlich die Vorderradbremse betätigt, kann das Vorderrad blockieren und das Hinterrad vom Boden abheben. Beim ausschließlichen Hinterradbremsen wird die Radlast vom Hinterrad komplett auf das Vorderrad umgelenkt. Die Folge: Abnehmende Radlast am Hinterrad, wodurch es sehr früh blockiert und zu einem instabilen sowie unkontrollierbaren Fahrverhalten führt. Gerade in Kurven lässt sich der daraus hervorgehende Stabilitätsverlust beobachten und kann zum Sturz führen.

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Tipp 4: Bremsen in der Kurve

Womit wir bei der Fahrsituation angekommen wären, in der starkes Bremsen im besten Fall sogar komplett vermieden werden sollte. Der Grund: In Kurven wirken andere Kräfte, die Fahrverhalten und Bremsvorgang massiv beeinflussen. Die beispielsweise bei Dreh- und Kreisbewegungen auftretende Fliehkraft, welcher die Seitenführungskraft entgegenwirkt. Da diese senkrecht zur Fahrtrichtung wirkt, die Bremskraft aber nach außen, wird das Fahrrad auch bei einem leichten Bremsvorgang schnell nach außen gezogen. Mit der Folge, dass die Reifen an Bodenhaftung verlieren und das Fahrrad zum Kurvenmittelpunkt hin umkippen kann. Diese physikalischen Gesetze veranschaulichen, wieso Bremsen in Kurven mit großer Vor- und Weitsicht bedient werden sollten.

Bremsen – ein Kinderspiel? Die richtige Einstellung der Bremshebel trägt schonmal dazu bei.

Tipp 5: Standfest durch den Regen

Während Felgenbremsen bei Nässe einen längeren Bremsweg aufweisen, besitzen Scheibenbremsen aufgrund höherer Flächenpressung, also Kraft pro Kontaktfläche, eine deutlich bessere Bremskraft. Wichtig bei beiden Bremstypen: den Bremsvorgang im Regen früher einleiten, um das Tempo rechtzeitig zu verringern. Weiter ist damit zu rechnen, dass die Bremskraft plötzlich stärker wird, sobald das Wasser verdrängt wurde. Dann gilt: Hebeldruck wieder verringern, um ein Überbremsen zu verhindern (siehe Tipp 3).

Tipp 6: Nicht schleifen lassen!

Wie bei jedem anderen Fahrzeug entsteht auch bei Scheibenbremsen am Fahrrad Wärme, während die Bewegungsenergie abgebaut wird. Aufgrund ihrer punktuellen Dosierbarkeit verleiten Scheibenbremsen schnell dazu, sie auf Abfahrten leicht schleifen zu lassen. Mit dem Effekt, eine noch bessere Tempokontrolle zu erlangen. Zahlreiche Praxistests haben längst bewiesen, dass selbst robusteste Bremsbeläge diese Falschbehandlung nicht allzu lang vertragen. Verglasungen sowie Verformungen können eintreten und die Bremssicherheit maßgeblich mindern. Unser Tipp daher: dosiertes und gezieltes Verzögern, statt schleifen lassen.

Tipp 7: Bremsen putzen nicht vergessen

Für die optimale Verzögerung einer Scheibenbremse entscheidend ist die Kontaktfläche zwischen Bremsbelag sowie -scheibe. Ist diese durch Streusalz, Belagabrieb oder Staub verschmutzt, sinkt die Reibung und somit die Bremsleistung. Bei Verölungen durch beispielsweise Fettfinger oder Schmiermittel kann es sogar richtig gefährlich werden, da die Bremsleistung massiv abnimmt. Daher sollten Scheiben und Beläge regelmäßig mit speziellen Bremsenreinigern gesäubert werden, die schon nach wenigen Minuten rückstandslos verdampfen. Auch sich eingestelltes lästiges Quietschen kann durch immer wiederkehrende Putzintervalle verschwinden.

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Tipp 8: Regelmäßige Entlüftung

Die allermeisten Scheibenbremsen funktionieren mit Hydraulik. Heißt: Wird der Bremshebel gedrückt, schießt Bremsmittel oder Mineralöl durch die Leitung und die Bremskolben pressen die Bremsbeläge in Richtung Bremsscheibe. Nun kann sich die Bremsleistung entfalten – besser dosierbar und insgesamt kraftvoller als bei den mechanischen Pendants. Konstruktionsbedingt kann jedoch Luft gezogen werden, wenn Leitungen oder Dichtungen beispielsweise durch einen Sturz beschädigt wurden. Erkennbar, wenn der Druckpunkt des Bremsgriffes wandert oder auffallend weich geworden ist. Zum dann dringend notwendigen Entlüften wird neben Entlüftungskit, Standardwerkzeug und neuer Bremsflüssigkeit vor allem eine ruhige Hand benötigt. Im Zweifel sollte man immer zum Fachhändler seines Vertrauens gehen. Scheibenbremsen mit Bremsflüssigkeit (DOT) sollten einmal jährlich gespült sowie entlüftet werden, da das DOT Wasser anzieht. Bei zuviel Wasser kann der Siedepunkt der Flüssigkeit heruntergesetzt werden. Bei langen und kräftigen Bremsvorgängen kann die Bremsleistung schlagartig nachlassen, wenn das Wasser im System ausgast.

Tipp 9: Sicher transportieren

Transportiert man sein Rad, beispielsweise im Auto, mit ausgebauten Laufrädern, sollte man die Bremsbeläge auf Distanz voneinander halten. Wird versehentlich der Bremshebel gezogen, besteht die Gefahr, dass die Beläge nicht mehr zurückstellen und beim Wiedereinbau des Rades die Scheibe nicht mehr in die Bremse passt. Für kleines Geld sind Transportsicherungen zu haben, die zwischen die Beläge geklemmt werden. Unser Zusatztipp: Wer die Bremshebel zieht und den gezogenen Hebel mit einem Gummi oder Spanngurt fixiert, schließt das Hydrauliksystem und es dringt auch beim Umdrehen des Rades keine Luft in das System ein.

Tipp 10: Zeit für einen Wechsel

Altbekannte Formel: Wo Reibung ist, ist auch Verschleiß. Folglich halten Bremsscheiben und ihre Beläge keine Ewigkeit. Wann genau sie getauscht werden müssen, ist meist den Bedienungsanleitungen der Hersteller zu entnehmen. Sram gibt beispielsweise mindestens 1,55 Millimeter Scheibendicke vor. Die grundsätzliche Faustregel bei Bremsbelägen: Beträgt die Gesamtdicke, also Halteplatte und Reibungsmaterial, weniger als drei Millimeter, ist ein Wechsel fällig. Je nach Anbieter kann sich dieser Richtwert unterscheiden. Wer also unsicher ist, sucht auch hier am besten einen Fachhändler auf. Denn: Wer Beläge zu spät wechselt, schädigt nicht nur die Bremsscheibe, weil Metall auf Metall schlägt, sondern riskiert komplette Bremsausfälle, die Max König jüngst eine vierwöchige Zwangspause eingebrockt haben.

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