Helmpflicht auf dem Rad: Argumente dafür und dagegen

Helmpflicht für Radfahrer - Welche Argumente gibt es?

Helmpflicht auf dem Rad: Argumente dafür und dagegen

Immer wieder ploppt das Thema auf: Die Helmpflicht für Radfahrer. Viele Experten sind dagegen, andere plädieren dafür. Was sind denn die Argumente pro oder contra Helmpflicht? Unser Streitgespräch.
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Fahrradhelme gibt es mittlerweile in vielen Designs und Farben – sie sind längst nicht mehr so hässlich wie früher. Doch viele Menschen tragen ja nicht aus Ästhetik-Aspekten keinen Helm, viele aus Bequemlichkeit oder des Komforts wegen – wieder andere argumentieren ausgerechnet mit der Sicherheit. Und mehr Sicherheit für Radfahrer ist dringend geboten. Doch wie steht es um das Thema Helmpflicht für Radfahrer, wär sie eine Lösung?

Pro Helmpflicht: Tod und Schmerz ein Ende setzen

Ein Kommentar von Uwe Schmidt-Kasparek

„Mama und Papa sollten aber auch einen Fahrradhelm tragen“, habe ich vor kurzer Zeit einer Familie zugerufen, weil nur die etwa 12-Jährige behelmt fuhr. Fatal, wenn die Eltern der Meinung sind, dass sie angesichts der fehlenden Helmpflicht „oben ohne“ fahren können, während sie große Sorge für ihren Nachwuchs tragen. Der ist in Wirklichkeit natürlich auch gefährdet, wenn die Ernährer stürzen und sich lebensgefährlich oder tödlich verletzen. Dafür bedarf es keines Crashs mit einem Auto. Schon ein Alleinunfall kann verheerend wirken. Ein Stein, ein Stock oder eine regennasse Stelle reichen bekanntlich aus. Und der Kopf muss auch nicht auf die Bordsteinkante schlagen. Jede Motorhaube eines stehenden Autos kann den Kopf platzen lassen.

Die Argumente der Helmpflicht-Gegner – die übrigens nur ganz heimlich so auftreten – sind furchtbar entlarvend. Etwa der Allgemeine Deutsche Fahrrad Club Köln (ADFC), der betont: In Sachen Helmpflicht ist er neutral! Dann heißt es: „Ein Fahrradhelm kann sicherlich in bestimmten Fällen einigen Verletzungen, Schürfwunden oder Prellungen vorbeugen, aber ist nicht wirklich dafür ausgelegt, beispielsweise bei einem Autounfall wirksam zu sein.“ Ach du liebe Zeit: Schürfwunden … Natürlich kennt der ADFC den Melonen-Test. Wenn die Frucht ungeschützt aus 1,5 Metern fällt, zerbricht sie, wie der Kopf, weil die Aufprallkraft konzentriert auf eine kleine Fläche trifft. Der Helm verteilt die Kraft auf eine viel größere Fläche. Die Unfallforschung hat die Sicherheitswirkung des Helms tausendmal dokumentiert. „Nach Bundesstatistik ist bei Fahrradunfällen mit tödlichen Verletzungen zu circa 50 Prozent der Kopf betroffen.

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Unsere Zweirad-Verkehrssicherheitsstudie von 2022 zeigt, dass Fahrradfahrer ohne Helm 2,5-mal mehr Kopfverletzungen aufweisen als mit Helm“, erläutert aktuell Christian Sahr, Leiter des Allianz Zentrums für Technik (AZT). Der ADAC – der das Tragen eines Helms immer empfiehlt – behauptet, dass die Pflicht dazu führt, dass dann Nichtträger von der Versicherung weniger Schmerzensgeld bekommen – also schlechter gestellt würden. Er ignoriert damit ganz bewusst eine Entscheidung des BGHs (Az. VI ZR 281/13), der das Mitverschulden des Oben-ohne-Fahrers nur deshalb abgelehnt hatte, weil es zum Zeitpunkt des Unfalls „kein allgemeines Verkehrsbewusstsein gegeben habe, nach dem das Tragen eines Helms zum eigenen Schutz erforderlich und zumutbar gewesen wäre“. Dabei beruft sich der BGH auf eine Statistik aus dem Jahre 2011, in dem die Helmtragequote elf Prozent betrug. Nun beträgt sie 32 Prozent. Und schon im Juli 2022 sprachen sich mit 59 Prozent die Mehrheit der Menschen in Deutschland in einer Dekra-Umfrage für die Helmpflicht bei jeder Art von Rad aus.

Die Zeiten und die Akzeptanz für eine Helmpflicht haben sich geändert. Schon morgen kann das Gericht – auch ganz ohne eine Helmpflicht – zum Schluss kommen, dass, wer sich nicht selbst schützt, weniger Schmerzensgeld verdient hat. Der ADFC Sachsen warnt davor, dass mit Helmpflicht Radfahren unattraktiver würde und Fahrradverleihsysteme sogar „tot“ wären. Laut dem AZT ist die geringere Nutzungsquote durch internationale Forschung nicht zu stützen. Und Fahrradverleiher sind einfallsreich. In Schweden gibt es den Helm immer mit dabei. Mit einer Pflicht würden aus 32 Prozent im Nu weit über 90 Prozent! Die paar hartnäckigen Muffel zahlen dann immer mal ein Bußgeld. Denn fragt man die vielen heutigen helmlosen Radler hinsichtlich ihrer Motivation, dann zucken sie oft nur mit den Schultern. Eigentlich sind alle bereit!

Positivbeispiel aus der Niederlande: So geht sichere Radinfrastruktur!

Contra Helmpflicht: Unfallursachen angehen

Ein Kommentar von Johanna Nimrich

Dies sei vorab erwähnt: Ich trage beim Radfahren immer einen Helm, auf kurzen Strecken genauso wie auf langen Ausfahrten. Und ich würde auch jedem empfehlen, dies zu tun – der Kopf ist unser wichtigstes Körperteil, und er lässt sich nachgewiesenermaßen mit einem Fahrradhelm schützen. Zu einer Pflicht machen würde ich das Fahrradhelmtragen trotzdem nicht. Verschiedene Gründe sind für mich ausschlaggebend.

Zum einen ist es ex­trem wichtig, dass der Radverkehrsanteil steigt und zwar in den Städten als auch auf dem Land. Wenn mehr Menschen das Fahrrad oder E-Bike nutzen und im Gegenzug auf die Fahrt mit dem Pkw verzichten, verbessert sich die Luftqualität, die Geräuschkulisse, die Ökobilanz des Verkehrs im Allgemeinen. Umwelt und Gesundheit profitieren. Nun gibt es verschiedene Studien und Erfahrungen aus dem Ausland, die zeigen, dass eine Helmpflicht das Radfahren unattraktiver macht und sogar zum Rückgang des Radverkehrs führen kann. So beispielsweise in Australien, dort wurde zwischen 1990 und 1992 eine Helmpflicht für Radfahrer eingeführt. In der Folge sank die Radnutzung in Städten je nach Studie um 20 bis 40 Prozent. Einen solchen Rückgang des Radverkehrs können wir uns absolut nicht leisten in Anbetracht des Klimawandels. Im Gegenteil: Die Politik muss alles daran setzen, Radfahren attraktiver zu machen.

Zum anderen bin ich der starken Überzeugung, dass die Sicherheit von Radfahrern anders erhöht werden muss und zwar indem man nicht vom Individuum, sondern von der Gesamtstruktur ausgeht. Denn viele Unfälle haben in unserer autozentrierten Gesellschaft mit struktureller Benachteiligung zu tun. Unsere Infrastruktur sollte so gestaltet sein, dass auch „schwache Teilnehmer“ – nämlich solche ohne Blech um sich herum – darin sicher unterwegs sind. Zur Sicherheit tragen gute, geschützte Radwege bei, insbesondere auch sichere Kreuzungen, und eine faire Flächenverteilung, bei der Radfahrer mehr Platz bekommen. Für Sicherheit sorgt auch die breite Einführung von Tempo 30 in Städten, denn hohe Geschwindigkeiten generell und eine große Tempo-Differenz der unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer sind Risikofaktoren. Statistiken aus den letzten Jahren zeigen: Autofahrer sind die häufigsten Unfallgegner von Radfahrern und bei der überwiegenden Mehrheit dieser Unfälle tragen Radfahrer keine Schuld, sind aber die Leidtragenden. Also, liebe Politiker: Bitte geht die Unfallursachen an! Aktuelle Beispiele zeigen, dass es ja auch ganz anders sein könnte: In den Niederlanden gibt es keine Helmpflicht und tatsächlich nutzen nur wenige Radfahrer einen Helm. Trotzdem sind die Niederlande das zweitsicherste Land (nach Dänemark), wenn man die Unfallzahlen ins Verhältnis zum Radverkehrsanteil setzt. Eine Kombination aus besserer Rad-Infrastruktur und einer anderen Fahrradkultur machen es möglich. Und auch Kultur ist nichts statisches, bei uns kann vieles möglich werden. Man muss es nur wollen.

Solange die Radinfrastruktur und die Geschwindigkeiten in unseren Städten so sind, wie sie sind, trage ich weiterhin einen Helm und sorge auch dafür, dass meine Lieblingsmenschen das tun. Und gleichzeitig erwarte ich, dass Radfahren in den nächsten Jahren bei uns sicherer gemacht wird. Der Hebel sitzt woanders als beim Kopf eines Einzelnen. Da­rum sage ich: Helmtragen ja bitte, aber eine Helmpflicht bitte nicht!

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