Westirland mit dem Fahrrad: Auf Radtour an Irlands Westküste

Am Wilden Atlantik: Westirland by Bike

Westirland mit dem Fahrrad: Auf Radtour an Irlands Westküste

Teil 2 unserer E-Bike-Reise in Irlands Westen führt uns weg von den Ballyhoura Mountains hin zum wilden Atlantik zu Füßen der mächtigen Cliffs of Moher. Sofort nimmt uns die raue Schönheit der Gegend gefangen.
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Gar nicht so grün hier. Auf den ersten Blick. Wir stehen mit Tony Kirby auf einem riesigen Kalkfelsen. Den wilden Atlantik können wir zwar nicht sehen, aber riechen und schmecken. Salz liegt in der Luft. Ausnahmsweise sind wir zu Fuß, nicht mit dem E-Bike unterwegs. Hier lohnt es sich, vom Sattel zu steigen und der ruhigen Stimme Kirbys zu lauschen. Es hat etwas sakrales, wenn er über diesen Landstrich spricht. Er nimmt uns mit, mitten hinein in „The Burren“, eine der faszinierendsten Landschaften Irlands. Im grauen Karstgebiet erfahren wir, dass Freud und Leid im Grün der Insel sehr eng miteinander verwoben sind.

Einzigartige florale Vielfalt

Begonnen hat unsere Tour durch Irland auf dem Kilmallock Cycle Hub in den Ballyhoura Mountains (hier Teil 1 lesen!). Von dort aus sind wir weiter gereist zur wilden Atlantikküste. Hier lockt uns der Doolin Cycle Hub. Der ist zwar nicht ganz so groß wie der rund um Kilmallock und Ardpatrick. Dafür ist er wilder, mit spektakulärer Felsküste und hügeligem, abwechslungsreichem Hinterland. Kurz: mit dem idealen Terrain für E-Bikes. Aber eben nicht nur. Und so sind wir zu Fuß mit Tony Kirby unterwegs, um eine der faszinierendsten Landschaften Irlands zu entdecken. Kirby versteht es gekonnt, die Siedlungs- und Vegetationsgeschichte der zerklüfteten Karstlandschaft zu bündeln.

Wir besuchen uralte, frühchristliche Stätten, entdecken mediterrane Pflanzen in Kalksteinspalten und lernen, wie sehr der Mensch durch Viehhaltung und Besiedlung selbst eine solche, auf den ersten Blick lebensfeindlich wirkende Gegend urbar gemacht und geprägt hat. Heute sei die Insel von Weideflächen überzogen, so Kirby. Dabei produzierten die Farmer hier kaum für die eigene Bevölkerung. 90 Prozent der Agrarerzeugnisse sind für den Export bestimmt. „Die Weidewirtschaft sorgt für einen dramatischen Verfall der Biodiversität.“ Was so grün wirke, sei hauptsächlich Monokultur. Anders auf den Karstflächen des Burren. Die auf den ersten Blick graue Landschaft beherbergt eine einmalige florale Vielfalt: „Hier wachsen Pflanzen aus dem Mittelmeerraum ebenso wie welche vom Polarkreis. Das gibt es auf solch engem Raum nirgendwo sonst auf der Erde“, sagt Kirby und weist auf den erstaunlich bunten Bewuchs der Spalten und Löcher zwischen den Kalksteinen. Wir können uns kaum sattsehen und lauschen gebannt den anekdotenreichen Berichten des Landschaftsführers.

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The Burren mit anderen Augen sehen

Nach der zweistündigen Entdeckungstour erfreuen wir uns umso mehr an der Fahrt durch dieses offene Land. Kleine, enge Sträßchen durchziehen „The Burren“. Wie fast überall in Irland abseits der Hauptstraßen herrscht im Herzen des Landstrichs kaum Verkehr. Hinter jeder Biegung erwarten uns neue Ausblicke, hin und wieder entdecken wir weit am Horizont den wilden Atlantik. Je näher wir der Küste kommen, desto intensiver wird die salzhaltige Luft, desto lauter hören wir die Möwen. Die Brise weht kräftig vom Ozean herüber, dank des starken Bosch-Motors in unseren Canyon-E-Bikes erhöht das aber eher unser Radvergnügen, als das uns der Gegenwind stört. Wir genießen jede Pedalumdrehung, die uns der Steilküste näher bringt. Und doch dauert es bis fast zum Ziel, dem Hafenstädtchen Doolin, bis wir heute den Atlantik in seiner ganzen Pracht erblicken. Denn die schmalen Sträßchen ziehen sich zuerst über das Karstplateau, dann recht wellig durch kleine Tälchen und durch buschiges Hinterland.

Wir rollen stetig sanft das Tal der Aille hinab in das kleine Hafenstädtchen und selbst hier sehen wir noch nichts vom Meer. Erst direkt vor dem Doolin Inn, unserer Unterkunft für eine Nacht, öffnet sich das Tal und wir erhaschen einen ersten Eindruck der gewaltigen Klippen von Moher, die sich von der Mündung des kleinen Flusses Aille aus nach Südwesten aus dem Meer erheben.

Am Nachmittag erkunden wir erneut zu Fuß das Städtchen, insbesondere die Fisher Street mit Pubs und Restaurants, die hinunter zum Hafen führt. Auch den Cliffs of Moher Walk gehen wir ein Stückchen hinauf. Etwa anderthalb Stunden sind es von der ­Aille-Mündung bis zum O’Brian’s Tower und dem dortigen Besucherzentrum. Der Pfad führt immer am Rand der Klippen entlang. Wanderer sollten hier entsprechend schwindelfrei sein. Wir gehen nicht den gesamten Weg, denn der Tower, der am höchsten Punkt der Klippen liegt, ist Ziel unserer Radtour am nächsten Tag. Lieber kehren wir zum Abschluss des Tages ins Gus O’Connor’s Pub ein. Die älteste Kneipe Doolins wird heute zwar vor allem von Touristen besucht, hat ihren typischen Irish-Pub-Charakter aber bewahrt. Fast jeden Abend gibt es Livemusik. Wir genießen die herzliche Stimmung bei einem Pint Stout und herzhaften Fish ’n‘ Chips, willkommene Kalorien für die bevorstehende lange Radtour.

Ruhige Landschaft hinter den Klippen

Die letzten Reserven füllen wir am nächsten Morgen beim abwechslungsreichen Frühstück im Doolin Inn auf. Die Räder waren sicher verwahrt, die Akkus haben wir auf unserem Zimmer geladen. So starten wir doppelt frisch direkt in den langen Anstieg Richtung Besucherzentrum des Unesco-Welterbes „Cliffs of Moher“. Anders als die unzähligen Touristen in ihren Autos, die wir auf dem Parkplatz vor dem Infozentrum sehen, müssen wir Radfahrer keine Gebühr zahlen, um die gut erschlossenen Klippen zu erkunden. Die Straße hoch zu den Klippen ist recht stark befahren. Die Autofahrer aber sind rücksichtsvoll und so kommt es zu keinen Problemen – wie fast überall in Irland.

Vom Besucherzentrum aus rollen wir anschließend erst ein kleines Stück zurück Richtung Doolin, ehe wir ins Hinterland abbiegen. Hier fällt das Land sanft nach Südosten in Richtung Liscannor ab. Vor uns erstreckt sich diese typische Mischung aus kleinen Sträßchen, Bruchsteinmauern und immer wieder versprenkelt liegenden Weilern. Wir sind nun weitab der touristischen Verkehrsströme und können ganz entspannt vor uns hin pedalieren, dabei immer wieder den Blick schweifen lassen. Unter uns liegt die Liscannor Bay, links und rechts erstreckt sich Weideland. Bei dem stetig-sanften Auf und Ab bemerken wir gar nicht, wie die Zeit vergeht. Am frühen Nachmittag holen uns dann aber unsere knurrenden Mägen zurück ins Hier und Jetzt. Gut, dass wir bereits kurz vor Doolin sind. Wir rollen die wenigen Kilometer zurück ins Städtchen und steuern „The ­Cheese Press“ an. Der kleine Laden führt viele regionale Spezialitäten, hat außerdem eine große Auswahl frischer Bio-Backwaren und hervorragenden Kaffee im Angebot. Wir wählen eine Auswahl süßer und herzhafter Pies und setzen uns anschließend auf die Bank vor dem Haus. Die Sonne scheint uns ins Gesicht, während wir das Treiben an Doolins Hauptstraße beobachten.

„The Burren“ ist Unesco-Weltnaturerbe. Das Karstgebiet reicht direkt bis zur Küste.

Klippen vom Meer aus betrachten

Kurz vor Sonnenuntergang wechseln wir erneut das Verkehrsmittel: Die E-Bikes parken wir sicher am Hafen und steigen aufs Ausflugsboot, das uns anderthalb Stunden lang die berühmten Klippen vom Meer aus bestaunen lässt. Doch Vorsicht: Je nach Wellengang ist die Tour nichts für schwache Mägen! Zurück an Land brechen wir auf zu unserer nächsten Station: Das Wild Honey Inn in Lisdoonvarna, rund sieben Kilometer im Landesinnern. Das kleine Landhotel hat neben sehr stilvoll eingerichteten Zimmern eine wirklich herausragende Gastronomie zu bieten: Es ist das einzige Restaurant mit Michelin-Stern in der ganzen Gegend. Kate Sweeney kümmert sich rührend um ihre Gäste im Restaurant und im Hotel, während Aidan McGrath seine eigenen Interpretationen lokaler Spezialitäten zelebriert. Wer dann noch auf einen abschließenden Drink an der stilvoll eingerichteten Bar Platz nimmt, befindet sich vollends im kulinarischen Himmelreich Westirlands.

Lisdoonvarna hat aber bei Weitem nicht nur Fine Dining zu bieten. Auch die bodenständigere Küche der Pubs – allen voran die in der Roadside Tavern mit eigener Hausbrauerei – ist sehr zu empfehlen. Insbesondere vor oder nach langen E-Bike-Touren.

Kalkfelsen direkt am Atlantik

Wir brechen von hier unter anderem wieder in Richtung Burren auf, wählen diesmal aber den westlichen Teil direkt am Atlantik. Die Kalksteinküste geht hier direkt ins Meer über. An vielen Stellen gibt es Spalten im Gestein, durch die die Gischt hochschlägt. Die Straße führt direkt daran vorbei, nicht selten können wir das Meerwasser förmlich auf unseren Lippen schmecken. In Fanore, an der Mündung des Caher Rivers, öffnet sich die schroffe Küste für einige hundert Meter und gibt einen feinen Sandstrand frei. Hier tummeln sich Wassersportler, vor allem Surfer. Auch einige hartgesottene Schwimmer wagen sich in das heute rund 14 Grad kalte Atlantikwasser. Auch wir springen kurz rein, sind aber nach wenigen Minuten wieder angezogen auf unseren Rädern und versuchen, uns warm zu strampeln. Das gelingt gut, denn hinter Fanore fahren wir zuerst sacht, dann immer steiler den Caher River hinauf. Er ist eines der wenigen offenen Gewässer im Burren. Links und rechts ragen steile Felswände auf. Die Landschaft wirkt fast unwirtlich. Dazu passt, dass sich das Wetter heute von seiner irischen Seite zeigt: Es ist bedeckt, hin und wieder tröpfelt es leicht. Das sorgt für eine ganz außergewöhnliche Stimmung, denn der hellgraue Kalkstein vermischt sich am Horizont mit dem gleichfarbigen Himmel. Am Talschluss wird es dann grüner und noch einmal steiler. Wir kurbeln hinauf zu einem kleinen Wäldchen, das schließlich zwischen uns und Lisdoonvarna liegt. Es bringt einen schönen Kontrast zur kargen, schroffen Landschaft unterhalb.

Und so beschließen wir diesen letzten Fahrradtag an Irlands wilder Atlantikküste. Bei einem letzten tiefschwarzen Stout blicken wir auf eine wunderbare, abwechslungsreiche und verglichen mit Mitteleuropa so ganz andere Fahrradwoche zurück. Am Ende bleiben uns die einsamen Straßen, die grandiose Landschaft und die warmherzigen Menschen nachdrücklich in Erinnerung. Mit dem letzten Schluck aus dem Pintglas sind wir uns sicher: Wir kommen wieder.

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