Brompton, Interview, Hintergrund, Story, Verkehrspolitik

Brompton-Geschäftsführer über das Fahrrad und die Zukunft der Mobilität

Wir müssen die Stadt für Menschen verändern!

Brompton-Geschäftsführer über das Fahrrad und die Zukunft der Mobilität

Will Butler-Adams ist eine der profiliertesten Stimmen der Fahrrad-Industrie – ohne sich selbst als Teil dieser zu bezeichnen. Der 49-Jährige ist seit 2006 Geschäftsführer von Brompton und hat seitdem den Umsatz von zwei Millionen Pfund auf 57 Millionen Pfund (2020) gesteigert. Der Faltradspezialist Brompton ist heute der größte Fahrradproduzent des Vereinigten Königreichs. Im Interview spricht er über die Zukunft der Mobilität und Chancen des Radfahrens.
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ElektroRad: Wie wichtig sind Fahrräder wie das Brompton für die Veränderung der Städte, wie wir sie heute kennen?

Will Butler-Adams: Sehr wichtig. Denn wir müssen nicht die Mobilität in der Stadt verändern, wir müssen die Stadt für die Menschheit verändern. Überall auf der Welt kam es im vergangenen Jahrhundert zu einer Nettomigration in Städte. Die Stadt aber macht uns seltsamerweise nicht glücklich. Immer hieß es: Ihr müsst in die Stadt kommen. Aber die Lebensqualität ist schlecht. Nehmen wir allein die Gesundheit. Das liegt am Auto. Seit 70 Jahren bläut uns die Industrie ein, dass wir „das Auto“ in den Städten brauchen. Das stimmt aber nicht! Wir haben den falschen Weg eingeschlagen und unsere Städte nach „dem Auto“ und nicht nach dem Menschen gestaltet. Der Mensch sollte im Mittelpunkt der Stadt stehen, nicht das Auto.

Denken wir also aus dieser Perspektive. Was will der Mensch, was will die Familie, was will die Mutter, was wollen die Kinder? Sie wollen saubere Luft, sie wollen Sicherheit, sie wollen Platz. Dazu kommt die Klimakrise, weil wir zu viel konsumieren. Alles, was wir haben – Telefon, Uhr, Kleidung – verbraucht Ressourcen. Nicht nur Energie, sondern auch Ressourcen, die uns der Planet schenkt. Wenn wir auf dem Planeten Erde koexistieren wollen, müssen wir weniger Dinge verbrauchen und kaufen. Ich kann jemanden mit einem Elek­trofahrrad, das 14 oder 15 Kilo wiegt, durch die Stadt bewegen. Ich brauche kein Elektroauto, das 2500 Kilo wiegt. Das effizienteste Transportmittel, das jemals erfunden wurde und das die Welt irgendwie vergessen hat, ist das Fahrrad. Es ist kein fliegendes Taxi, es ist ein Fahrrad! Es belastet unseren Planeten weniger. Außerdem macht es uns glücklicher, es macht uns körperlich und geistig gesünder.

Also, was können wir tun?

Diese Transformation hin zum Gesunden erfordert Architekten, Stadtplaner, die Politik, aber auch jeden einzelnen von uns. Die Straßenbahn ist Teil der Lösung, der Radweg ist Teil der Lösung, die Architektur ist Teil der Lösung.

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Will Butler-Adams im Gespräch mit ElektroRad-Redaktionsleiter Stephan Kümmel

In Wiesbaden stimmten die Bewohner kürzlich gegen eine Straßenbahnlinie für die Stadt.

Möglicherweise haben sie die Straßenbahn jetzt abgelehnt, weil die Wähler einer anderen Generation angehören. Aber in zehn oder 15 Jahren, wenn der Planet heißer wird, wenn der Druck auf die Umwelt größer wird, wenn die jüngere Generation den Druck zu spüren bekommt, wird die Straßenbahn kommen. Und das gilt auch für die Radwege, denn wir haben keine Wahl. Dabei geht es nicht darum, ob wir es tun, sondern darum, wann wir es tun.

Brompton-Geschäftsführer über Mobilität auf dem Land

Weg von den Städten: Wie gelingt das auf dem Land? Dort sagen die meisten Leute, dass sie auf ihr Auto angewiesen sind.

Das Auto kostet die Menschen Geld. Und es ist nicht effizient. Es hat Auswirkungen auf die Gesundheit anderer im Hinblick auf die Ressourcen, die es benötigt, um es zu bauen, zu betreiben und zu erhalten. Es ist also ein Luxus, den wir uns als Planet nicht leisten können.

Das Auto ist ein hervorragendes Fahrzeug für eine Geschwindigkeit von 120 Stundenkilometern auf einer Autobahn. Das schaffen meine Beine auf dem Fahrrad niemals (lacht). Dort also ist das Auto großartig. Aber in Städten und Dörfern müssen die Menschen an erster Stelle stehen. Deshalb müssen wir Wege finden, es den Menschen schwerer zu machen, ein Fahrzeug zu benutzen, das nicht im besten Interesse des Planeten Erde oder der Menschen ist.

Das Fahrrad: Eine echte Alternative?

Erschweren klingt immer gleich nach Zwang. Sollten wir nicht andersherum das Radfahren erleichtern, um eine echte Alternative zu schaffen?

Sie müssen beides tun, denn schwieriger und einfacher gehen zusammen. Wenn Sie Radwege einrichten, die das Radfahren erleichtern, wird es für das Auto schwieriger. Das sind zwei Seiten derselben Medaille. Politiker werden sagen: Nein, wir machen das Radfahren nur einfacher, aber sie sagen Ihnen nicht die Wahrheit. Das Autofahren muss schwieriger werden und man braucht politisches Selbstvertrauen, Ehrgeiz und Rückgrat.

Kennen Sie solche Politiker?

Schauen Sie sich Anne Hidalgo in Paris an. Man kann keine Veränderung herbeiführen, ohne einige Leute zu verärgern. Aber wir verärgern Millionen Menschen mit dem Klimawandel. Wir werden Generationen für Generationen verärgern wegen dem, was wir heute tun. Also, liebe Politiker, zeigt ein bisschen Rückgrat wie Anne Hidalgo. Denken Sie nicht so kurzfristig.

Brompton-Chef: „Menschen müssen aktiver sein“

Rückgrat und Politiker? Das passt auf den ersten Blick nicht wirklich zusammen.

Vielleicht stimmt das. Dann müssen wir, die Menschen, die in unseren Städten und Dörfern leben, aktiver sein. Wir müssen sagen, was wir wollen, und wir müssen darüber nachdenken, was wir für unsere Kinder und Kindeskinder wollen. Wir müssen dafür weniger egoistisch sein. So schwer ist das nicht. Wenn wir unser Leben nur ein wenig ändern, können wir auf dem Planeten Erde koexistieren. Wir müssen nicht so radikal sein. Ich schlage nicht vor, dass Sie von München nach Berlin radeln müssen. Steigen Sie in den Zug oder nehmen Sie das Auto. Aber wenn Sie in Berlin ankommen, lassen Sie das Auto draußen, um Platz für die Menschen zu schaffen, die darin leben, und um die Luft sauber zu halten. Das sind kleine Änderungen. Es ist nicht viel. Wir müssen als Menschheit einfach weniger egoistisch sein.

Denken wir an die kommenden Generationen. Gleichzeitig können wir auch an uns selbst denken. Zu Fuß gehen und Radfahren machen uns glücklicher! Wenn ich Rad fahre, bin ich glücklich. Wenn ich gehe, bin ich glücklich. Wenn die Luft in der Stadt sauber ist, sind die Bürger gesünder. Wenn die Mutter sich nicht am Arm des Kindes festklammert weil sie befürchtet, dass es mit einem zweieinhalb Tonnen schweren Auto zusammenstoßen könnte, ist sie glücklicher. Es ist so offensichtlich, aber irgendwie können wir die Wahrheit nicht erkennen. Wir sind ein bisschen wie ein Affe im Zoo. Er wird im Zoo geboren, lebt im Zoo und Sie fragen den Affen: Leben Sie gerne im Zoo? Der Affe sagt, er liebe es, im Zoo zu leben, er sei glücklich. Bis Sie den Affen im Dschungel herumlaufen lassen. Dann setzen Sie ihn zurück in den Zoo und fragen wieder, ob es ihm im Zoo gefällt. Er wird sagen, er hasse den Zoo. Er will zurück in den Dschungel. Wir kennen nur die Autowelt. Darum lieben wir sie.

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Brompton-Geschäftsführer über Städte der Zukunft

Wie können wir den Affen in den Dschungel bringen?

Durch die Tragödie der Corona-Pandemie bekamen wir weltweit einen kleinen Einblick in die Art und Weise, wie Städte aussehen könnten. Es gab Momente, in denen das Auto nicht da war. Als die Straßen den Menschen zurückgegeben wurden, fühlte sich das Radfahren mit Kindern wie die natürlichste Sache der Welt an. Die Straßen waren ruhig und sicher. Kinder spielten auf den Straßen. Wir müssen einfach den Menschen an die erste Stelle setzen.

Es gibt Städte im globalen Süden, die noch nicht gänzlich so autozentriert sind wie in Europa oder Nordamerika. Wie können wir den Gesellschaften dort helfen, nicht die gleichen Fehler zu machen wie wir damals?

Machen Sie sich keine Sorgen um sie. Sie wissen, was sie tun. Dort gibt es genug kluge Menschen. Schauen wir nicht in andere Weltregionen. Wir müssen vor unserer eigenen Haustüre kehren. Die Eurobike-Organisatoren haben zur Messe stolz verkündet: „Radfahren wächst weiter. Andere Branchen schauen uns neidisch an. Keine andere Branche der Welt weist solche Zahlen aus. Unsere Herausforderung: schlechte Flottenerneuerung.“ Warum glaubt der politische Direktor der Fahrradindustrie in Europa, dass unser Problem schlechte Flottenerneuerung ist? Wir müssen nicht mehr Fahrräder an Leute verkaufen, die bereits Fahrräder haben! Wir kaufen sowieso zu viel Zeug.

Das Problem der Industrie ist, dass sie mit Radfahrern redet. Das ist alles, was sie tut. Leute, die bereits fünf Fahrräder haben und drei weitere kaufen möchten. Das ist Blödsinn. Ein Brompton hält 25 Jahre. Solange brauchen Sie kein neues. Haben Sie eins, gehen Sie raus und erzählen Sie den Leuten, wie glücklich Sie mit ihrem Rad sind. Teilen Sie Ihre Freiheit, Ihr Glück mit Ihren Freunden, Arbeitskollegen, um mehr Menschen zum Radfahren zu bringen. Die Branche darf nicht mit Radfahrern sprechen, sondern mit Menschen, die wissen, wie man Fahrrad fährt.

In Deutschland sind zehn bis zwölf Prozent der Menschen Radfahrer. 95 Prozent der Menschen wissen, wie man Fahrrad fährt. Wir müssen mit diesen Leuten reden. Schauen Sie sich auf der Eurobike um, sie ist wie ein Fest für weiße Männer mittleren Alters. Das repräsentiert nicht Deutschland, es repräsentiert nicht Europa. Es stellt einen winzigen Teil der Gesellschaft namens „Radfahrer“ dar, und das ist der Fehler. Wir müssen universell sein, wir müssen verschiedene Gemeinschaften einbeziehen und wir müssen als Sektor zusammenarbeiten, um andere Teile der Gemeinschaft für das Fahrrad zu begeistern.

Brompton, Interview, Hintergrund, Story, Verkehrspolitik

Brompton will die Menschen ansprechen, die wissen, wie man Rad fährt – mehr nicht

Positive Tendenzen

Ich denke, dass diesbezüglich schon viel passiert. Einige Fahrradhersteller versuchen, die vom Auto gewohnte Technik in die Fahrradbranche zu integrieren. Etwa, dass ich mir überhaupt keine Sorgen machen muss, mein Fahrrad an öffentlichen Orten abzustellen. Das schließt Sicherheitstechnik am Fahrrad ebenso ein wie sichere Abstellflächen. Es gibt eine Verbesserung, nicht wahr?

Ich widerspreche Ihnen nicht. Das ist positiv. Aber noch immer fühlen sich die meisten Menschen in Großbritannien, meiner Heimat, und dem Rest von Europa nicht zum Radfahren eingeladen. Fahrräder sind für Radfahrer, nicht für andere Menschen.

Wir als Brompton haben noch nie an Radfahrer verkauft. Das ist nicht unsere Zielgruppe. Wir verkaufen an Leute, die wissen, wie man Fahrrad fährt. Das fängt im Brompton-Geschäft an. Es ist weder technisch noch überladen. Es ist sauber und einfach. Es ist wie ein normales Einkaufserlebnis. Wir haben sowohl männliche als auch weibliche Verkäufer, immer. Es sind kleine, einfache Dinge, die die Menschen einladen. Das hat die Branche aber noch nicht erkannt. Sie redet davon, dass die schlechte Flottenerneuerung das Problem sei. Bei Radfahrern stellt sich langsam eine Marktsättigung ein. Über diese Gruppe hinaus aber gibt es noch so viel mehr, das ist spannend. Das ist eine Chance. Wir müssen erkennen, wo wir stehen, und dann herausfinden, wie wir den Sektor gemeinsam auf die nächste Stufe heben können.

Worauf müssen sich Fahrrad-Verkäufer konzentrieren?

Als Verkäufer kann man also sagen: Wenn wir uns auf die 85 Prozent der Leute konzentrieren, die wissen, wie man Fahrrad fährt, aber nicht auf Radfahrer, ist der Markt groß genug für uns und für viele andere Marken?

Ich bin seit 21 Jahren hier in dieser kleinen Firma, die Fahrräder herstellt. Wir haben uns noch nie als Teil der Fahrradbranche gesehen. Wir arbeiten für eine lebenswerte Gesellschaft. Die Leute kaufen ein Brompton nicht wegen des Fahrrads. Sie kaufen ein Brompton, weil es ihr Leben verändert. Es geht nicht um das Fahrrad. Das Fahrrad ist ein Werkzeug. Es ist das, was das Fahrrad für sie tut. Es gibt ihnen Freiheit, es gibt ihnen Gesundheit und Glück. Das ist es, was wir verkaufen müssen. Nicht der Shimano-Umwerfer allerneuester Generation. Für die eingefleischten Radfahrer ist das in Ordnung. Aber die meisten Menschen haben daran kein Interesse. Gib mir einfach ein Fahrrad. Mach mich glücklich, mach mich gesünder. Das ist es, was wir verkaufen müssen.

In den 21 Jahren, in denen ich in der Branche tätig bin, habe ich diese Einstellung nur bei ganz wenigen Marken erkannt. Wir verkaufen technischen Blödsinn und das ist nicht das, was wir tun müssen. Wir müssen Lösungen verkaufen, einen Lebensstil. Die Welt zu einem besseren Ort machen, weil – mein Gott – wir es brauchen. Als Branche haben wir die Verantwortung, unseren Teil für mehr Klimaschutz beizutragen. Gesundheit und Glück in unseren Städten sollten unsere Priorität sein.

Dieser Artikel erschien in der ElektroRad 6/2023. Hier können Sie die Ausgabe als Printmagazin oder E-Paper bestellen.

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