Autofrei als Reporter: Joachim Ludwig ist mit dem E-Bike unterwegs

Bei Wind & Wetter

Autofrei als Reporter: Joachim Ludwig ist mit dem E-Bike unterwegs

Lokalreporter Joachim Ludwig berichtet für eine Lokalzeitung aus dem ländlichen Main-Kinzig-Kreis in Hessen. Seine Termine klappert er alle per Fahrrad ab – im Jahr kommen so gut 8000 Kilometer zusammen. Sein Auto hat er seit anderthalb Jahren nicht mehr bewegt.
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Ein Samstagabend Mitte Januar im Kinzigtal östlich von Hanau. Lange schon ist es stockdunkel. In Horbach steigt Joachim Ludwig auf sein Riese & Müller Homage. Vor ihm liegen insgesamt 20 Kilometer Strecke. „Heute geht’s noch. Meine Termine liegen recht nah beieinander“, sagt der Lokalreporter der „Gelnhäuser Neue Zeitung“. Die Faschingssaison hat begonnen und so stehen zwei Fremdensitzungen auf seinem Plan. Die erste Station, der große Saal der Reinhardsschänke in Altenhaßlau, liegt nicht nur drei Orte entfernt. Dazwischen geht es auch über einen knackigen Anstieg. Die Gegend zwischen Vogelsberg und Spessart ist arg bergig, fast keine Straße im ehemaligen Landkreis Gelnhausen ist flach. Kaum hat er seinen Wohnort verlassen, setzt Eisregen ein. Zum Glück nur leicht, denn seine Regenhose steckt tief in der Tasche hinten am Gepäckträger. „Das bisschen Regen macht mir schon nichts mehr aus.“ Viel mehr stört ihn ein immerwährendes Ärgernis: Der Weg, den er fährt, ist nicht befestigt, im Winter daher meistens schlammig. Einen richtigen Radweg gibt es erst gar nicht – wie so oft hier. „Im Sommer ist das nicht ganz so schlimm. Aber im Dezember, nachts um halb 12, rechnen hier nur die wenigsten Autofahrer mit einem Fahrrad auf der Straße. Das kann schnell brenzlig werden.“ Er wählt dann lieber die passive Fahrweise, statt auf sein Recht zu pochen. Lieber flucht er in solchen Situationen still in sich hinein. „Das ist gesünder“, sagt er schulterzuckend.

Zwei Jahre (fast) ohne Auto

Seit zwei Jahren schon lässt der 49-Jährige sein Auto fast komplett stehen. Los geht es mit einem Zufall: „Ein Autoreifen war platt. Bis die neuen Reifen da waren, musste ich zwangsläufig Rad fahren.“ Anfangs nutzt er sein altes Trekkingrad – ohne Motor. „Das ist richtig herausfordernd. Aber es hat mir auch enorm gut getan.“ Schnell fühlt er sich insgesamt viel fitter, wacher und ausgeglichener. Er spürt aber auch immer mal wieder den inneren Schweinehund, wenn er dann doch mehrere Termine am Tag absolvieren muss, die Strecken weit sind oder das Wetter nicht so dolle. „Ich hab es aber fast immer geschafft, das Auto stehen zu lassen. Auch wenn es manchmal hart war.“ Geholfen haben ihm dabei einige Kniffe. Allen voran eine effiziente Planung. „Ich versuche, meine Termine so zu takten, dass ich keine unnötigen Wege fahren muss.“ Mit dem Auto war das immer easy. Kurz zehn Kilometer hin, dann wieder zurück. „Eine Stunde später die gleiche Strecke. Kraft hat mich das ja nicht gekostet.“ Jetzt versucht er, seine Außentermine so zu koordinieren, dass sie gut zusammen passen. „Dabei geht es gar nicht so sehr um die Fahrzeit. Die ist bis zehn Kilometer einfache Strecke mit dem Fahrrad gar nicht so viel länger als mit dem Auto. Vor allem, wenn man die Parkplatzsuche mit einrechnet.“ Unterwegs mit zwei statt vier Rädern aber vermeidet er solche doppelten Strecken, so oft es geht.

Der radelnde Reporter: Joachim Ludwig mit dem Riese & Müller Homage.

Helm und Regenhaube sind ständige Begleiter.

Das Warten auf das beste Fotomotiv.

Partystimmung nach Corona-Jahren

Vor der Reinhardsschänke in Altenhaßlau steht der Elferrat des Linsengerichter Karnevalvereins „Die Haselnüss“, als Joachim Ludwig auf den Hof rollt. „Ah, unser radelnder Reporter“, ruft ihm Sitzungspräsident Jens Heun zu. Die beiden frotzeln ein wenig, ehe sie den Ablauf des Abends besprechen. Die Stimmung drinnen im Saal ist ausgelassen. Nach drei coronabedingt ausgefallenen Kampagnen ist deutlich zu spüren, wie viel Lust die Gäste wieder auf das gemeinsame Feiern haben. Fast alle sind bunt kostümiert. Pünktlich um 19.11 Uhr geht die Saaltür auf und Elferrat mit Gardetänzerinnen treten auf.

Ludwig hat sich in der Saalmitte positioniert, um sofort möglichst stimmungsvolle Bilder einzufangen. „Anfangs wird es immer etwas hektisch. Ich will einerseits schöne Fotos machen, andererseits natürlich auch niemandem im Weg stehen“, beschreibt er sein Vorgehen. Dazu kommt: In nur einer halben Stunde beginnt schon die nächste Faschingssitzung, drei Kilometer von hier und rund 80 Höhenmeter weiter oben in Eidengesäß beim Karnevalsverein „Die Spätzünder“. Die ersten zwei Programmpunkte wartet er noch ab, macht sich Notizen und lässt sich die gesamte Programmabfolge erklären. Dann verabschiedet er sich wieder. „Mit der Redaktion ist besprochen, dass wir nur ein Foto und ein paar Zeilen Text bringen. Den großen Bericht über die gesamte Sitzung schieben wir dann nächste Woche nach.“ Von den Spätzündern hingegen ist an diesem Wochenende mehr eingeplant. „Darum werde ich den restlichen Abend dort verbringen“, sagt Ludwig.

Durch den Eisregen

Draußen unter einem Vordach zieht er nun doch seine Regenhose an. Der Eisregen hat stark zugenommen. Kein wirklich gemütliches Wetter. „In diesen Situationen frage ich mich schon manchmal, warum ich das alles mit dem E-Bike mache.“ Gut, dass er sich dann auf das Homage verlassen kann. Der Doppelakku mit 1250 Wh reicht meistens das gesamte Wochenende. Die stufenlose Enviolo-Nabenschaltung und der Gates-Riemen machen das Rad sehr pflegeleicht. „Richtig intensiv geputzt hab ich es bis jetzt jedenfalls noch nicht“ – bei Kilometerstand 4047 wohlgemerkt. Die Vollfederung macht das Fahren auch auf den unbefestigten und mit Schlaglöchern überzogenen Radwegen der Region komfortabel. „Vor allem das Fernlicht ist mir wirklich ans Herz gewachsen.“ Denn viele Wege sind nicht nur vergleichsweise holprig, sondern auch unbeleuchtet. Dazu kommt: „Bin ich nachts auf der Landstraße mit Fernlicht unterwegs, kann ich bei entgegenkommenden Autos auf- und abblenden. So kann ich gut auf mich aufmerksam machen. Denn viele blenden ihrerseits nicht ab, wenn ‚nur‘ ein Fahrrad entgegen kommt.“ Einen Minuspunkt hat er dann doch: Das recht tief sitzende Tretlager. „Da bin ich schon öfter mal in Kurven mit dem Pedal aufgesetzt.“ Das ist aber auf dem Weg hoch von Altenhaßlau nach Eidengesäß kein Thema. Vielmehr freut er sich, dass es im Turbomodus mit 25 km/h den Berg hinauf geht – trotz Gegenwinds. „Jetzt, im Eisregen mit dem klassischen Fahrrad wäre ich viel langsamer. Bestimmt deutlich unter 10 km/h. Das kann ganz schön zermürben.“

Am Dorfkrug angekommen, erwartet ihn eine ähnliche Szenerie wie bei den „Haselnüss“. Ein paar Gäste ziehen ein letztes Mal schnell an ihren Zigaretten, denn der einzige weibliche Elferrat der Region hat bereits die Sitzung eröffnet. Einige Gardetänzerinnen warten nervös und fröstelnd vor der Saaltür auf ihren Auftritt. Der Reporter fragt auch hier den Ablauf routiniert ab. „Man kennt sich. Meistens habe ich vorab schon kurz abgesprochen, was ich brauche. Das funktioniert eigentlich fast überall reibungslos.“ Hier machen sich seine fast 20 Jahre Erfahrung als Reporter in der Region bezahlt. Ein Platz im Saal ist für ihn bereits reserviert. Beim Fotografieren geht es weniger hektisch zu. „Ich habe ja noch drei Stunden Zeit, die richtigen Fotos in den Kasten zu bekommen.“

Während drinnen die Stimmung mit jedem Showtanz und jeder Büttenrede steigt, prasselt draußen unablässig der Regen auf das Fahrrad. „Ja, leider gibt es nicht überall gute Abstellmöglichkeiten“, sagt Ludwig. Wenigstens macht er sich keine großen Sorgen um Diebstahl. Denn er hat nicht nur stets zwei hochwertige Schlösser dabei. Hier auf dem Land werden sowieso nur selten E-Bikes spontan vor einem Versammlungsort geklaut. Und so steht das Homage am Ende der Faschingssitzung bereit für die Heimfahrt. Es ist deutlich nach Mitternacht, der Wind schiebt den eisigen Regen nun direkt von vorn gegen Joachim Ludwigs Hose, die Jacke und direkt in sein Gesicht. Auf den knapp neun Kilometern kommt ihm kaum ein Auto entgegen, geschweige denn trifft er einen anderen Radfahrer oder Fußgänger. Wer jetzt nicht vor die Tür muss, bleibt lieber zuhause. „Richtig Freude kommt bei dem Wetter um diese Uhrzeit nicht auf“, sagt der Journalist. „Aber selbst jetzt beginnt mein Feierabend schon auf dem Rad. Ich komme zufriedener und entspannter zuhause an, als damals mit dem Auto.“ Es gebe nichts, was eine heiße Dusche nicht wegspülen könne.

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Schaltzug reißt nach 5000 Kilometern

Natürlich ist Joachim Ludwig nicht nur im Januar mitten in der Nacht bei Eisregen unterwegs. Mitte März regnet es zwar wieder, doch nur ganz leicht. Das Thermometer ist leicht über zehn Grad geklettert. Vor dem Rathaus von Linsengericht wartet Bürgermeister Albert Ungermann auf den „radelnden Reporter“. Der will ihn zum örtlichen Bürgerbus interviewen. Zuerst macht Ludwig einige Fotos mit dem Bürgermeister und dem Fahrer des Busses, Horst Ungermann. Dann ziehen sich die drei in den Sitzungssaal des Rathauses zum Gespräch zurück. Anschließend geht es weiter.

Mit dem Rad zum nächsten Termin. Knapp 5000 Kilometer geht das so. Dann aber reißt der Schaltzug, der erste Defekt an seinem E-Bike. „Zum Glück stand die Schaltnabe auf einem mittleren Gang. Das Fahren klappte dank des Motors immer noch gut.“ Abhilfe schafft der örtlichen Riese & Müller-Händler. Für den Profi ist die Reparatur kein Problem. „Ich selbst aber traue mir das nicht zu“, sagt Ludwig. Immerhin muss das Hinterrad ausgebaut, der Schaltzug gewechselt, das Rad wieder eingebaut werden. Riemenlauf und Riemenspannung müssen exakt stimmen, sonst nimmt der Antrieb Schaden. Richtig eingestellt sollte Joachim Ludwig nun aber wieder Ruhe haben. Hoffentlich mindestens für die nächsten 5000 Kilometer im Einsatz für die Leser der „Gelnhäuser Neue Zeitung“ im Kinzigtal zwischen Vogelsberg und Spessart.

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