Leichtes Gepäck auf Radreisen – Pro und Contra

Ist weniger wirklich mehr? Pro & Contra Leichtgepäck

Leichtes Gepäck auf Radreisen – Pro und Contra

Radfahren ist eigentlich immer Freude pur. Frische Luft, Bewegung, Erlebnisse und manchmal auch Abenteuer verbinden wir mit dem muskelbetriebenen Zweirad. Ja, Muskeln. Denen kann zu viel Gewicht zusetzen. Gleichzeitig freuen wir uns, wenn wir am Ende der Tour dabei haben, was wir brauchen. Ein Dilemma – oder?
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Langsam dahingleiten, den Blick schweifen lassen, die Landschaft genießen. Kein Zeitdruck, kein Stress, immer der Nase nach. Oder viel Tempo, die Oberschenkel brennen lassen, Passstraßen erklimmen oder neue Entfernungsrekorde aufstellen. Ganz grob sind das die beiden Pole der Radreise. Dazwischen? Gibt es eine ganze Menge. Ob nun aber gemütliche Mehrtagestour auf einem der wunderbaren Flussradwege oder auf Rekordfahrt über die Alpen: Vor der Abreise steht die große Frage, was eingepackt wird. Und das bedeutet auch: Wie schwer wird mein Gepäck?

Klar, keiner strebt danach, möglichst viele überflüssige Kilos ans Rad zu packen. Dank ausgeklügelter Befestigungssysteme lassen sich heute schwere Taschen so am Rad anbringen, dass ihre Pfunde kaum ins Gewicht fallen. Am Berg aber spürt man dann schon, dass da etwas gehörig in Richtung Tal zieht. Dafür wissen wir, dass am Ende der Tour ein sauberes Hemd, eine frische Hose und das eine oder andere mehr auf uns warten. Und unterwegs versorgen wir uns mit Brot, Käse, Obst und vielleicht sogar einem heißen Kaffee. Minimalisten hingegen setzen auf Astronautennahrung, schnell trocknende, federleichte Funktionsbekleidung und Gewichtsoptimierung als Teil des Urlaubserlebnisses. Kleinstes Packmaß, geringstes Gewicht. Beide Varianten – und die Hunderte dazwischen – haben ihre Daseinsberechtigung. Trotzdem bieten sie genug Stoff für ausschweifende Diskussionen. Ring frei.

Pro leichtes Gepäck: Werft die Kilos über Board!

Ein Kommentar von Benedikt Winkel

Haben wir wirklich an alles gedacht? Hoffentlich nicht. Denn eine Reise darf auch ein Abenteuer sein. Statt stundenlang Packlisten zu schreiben, sollte die Basis stimmen. Was kann man nicht alles auf eine Radreise mitnehmen. Spezielle Reise-Kaffeemaschinen zum Beispiel oder darf es gleich der Wohnanhänger fürs Rad sein? Gunnar Fehlau vom pressedienst-fahrrad macht es ja auch vor. Er hat eine Packtasche für jedes Zimmer seiner Wohnung dabei. Aber – und jetzt kommt ein sehr großes Aber – der ist auch ein ganzes Jahr unterwegs, lebt und arbeitet nur mit den Sachen, die er auf seinem Lastenrad mitnehmen kann.

Im Regelfall ist das bei Radreisenden anders. Laut ADFC-Radreiseanalyse 2022 buchen knapp 60 Prozent aller Radreisenden vier bis sieben Übernachtungen. Bei 15 Prozent sind es nur bis zu drei Nächte, also eher eine Wochenendtour. 75 Prozent aller Radreisen dauern demnach maximal sieben Nächte. Eine Radreise zeichnet sich ja vor allem dadurch aus, dass man unterwegs ist – und zwar mit dem Rad, das hat man also sowieso dabei. Was ist mit der Zeit, die man nicht im Sattel verbringt? Werfen wir wieder einen Blick in die ADFC-Statistik. 71 Prozent der Radreisenden wählen die Urlaubsroute bewusst so, dass sie an Sehenswürdigkeiten und Attraktionen entlang führt. Die sind also auch da.

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Eine Frage des Schlafplatzes

Ist das Tagesziel erreicht, sind für mich noch zwei Dinge wichtig: Essen und Schlafen. Hier gibt es natürlich zwei Lager: Campingplatz oder Hotel, Selbstversorger oder Restaurantbesucher. Wer seinen Schlafplatz mitbringt und auch die Mahlzeit noch selber bereitet, der braucht natürlich mehr Stauraum. Zelt, Schlafsack, Luftmatratze, Campingkocher, Topf, Spülmittel, Besteck – womöglich noch Hocker, Tisch oder eben den halben Hausstand. Laut ADFC steigen aber 70 Prozent der Radreisenden abends vor einem Hotel ab. Dort wird höchstwahrscheinlich auch kein Kocher ausgepackt oder der Wasserkocher zur Suppenküche umfunktioniert, sondern ein Restaurant besucht. Noch vor dem Campingplatz landet in der Statistik übrigens die Pension, die eigens aufgeführt wird. Am nächsten Morgen wird das Rad wieder gepackt und weiter geht die Fahrt. Auch beim täglichen Auf- und Abladen freut man sich über Minimalgepäck. Ebenso auf dem Weg durch enge Treppenhäuser ins Zimmer.

Außerdem führt der ADFC als Alternative zur Streckenreise die Sternreise auf. Da wird von einem Ausgangspunkt an jedem Tag eine andere Route gefahren, werden andere Highlights besichtigt. Großer Vorteil: Das schwere Gepäck bleibt entspannt im Zimmer.
Lange Rede, kurzer Sinn: Was braucht es wirklich auf einer Radreise? Für mich sind drei Dinge tatsächlich essenziell: Geldbeutel mit Dokumenten, Smartphone und Schlüssel. Alles andere lässt sich zur Not verschmerzen oder nachkaufen. Ein modernes Smartphone taugt für die Navigation, als Kamera, als digitale Geldbörse, als Unterhaltung und – als Telefon, auch für Notfälle. Die wenigsten Routen werden fernab jeglicher Zivilisation verlaufen. Supermärkte und Fahrradhändler sind selbst auf dem Land keine unerreichbaren Oasen der Glückseligkeit.

Gepäck radikal aussortieren

Sinnvoller als ein überbordender Gepäckberg auf dem Rad ist eine gute Vorbereitung. Ist das Bike gut gepflegt und gewartet, sinkt das Risiko für Pannen ungemein. Natürlich kann man sich einen Platten einfahren, aber mit entsprechenden Reifen und Dichtmilch kann selbst diese Gefahr deutlich minimiert werden. Mein dringender Appell vor der nächsten Radreise: radikal aussortieren. Es muss nicht jeder Sonderfall bedacht werden. Ein jeder weiß selbst, womit er sich wohlfühlt. Der Rest belastet nur.

Voll bepackt auf Reisen.

Contra leichtes Gepäck: Volle Taschen bringen Freiheit

Ein Kommentar von Jens Kockerbeck

Das gilt nicht nur monetär. Wer bei Radreisen vorsorgt, kann sich unabhängig machen. Den Rest regelt das Training.

Treffen sich ein deutscher und ein englischer Radfahrer in Chile. Sagt der Engländer: „Euch Deutsche erkennt man immer am großen Gepäck! – Wir fahren lieber leicht: eine Radhose, ein Trikot. Für abends eine Unterhose, eine Hose, ein T-Shirt, eine Jacke. Wenn ich in Museen gehe, dann halt mit Radschuhen.“ Nun ja … Wenn er auch noch auf das Waschmittel verzichtet … Dass das doch allzu sehr über einen Kamm geschert ist: für dieses Mal hingenommen. Aber klar, man kann wunderbar leicht fahren. Das zeigt sich auch im Trend Bikepacking, wie er aktuell intensiv mit Gravelbikes ausgelebt wird. Und ja, Weglassen befreit wörtlich und metaphorisch von Ballast.

Bin ich in Deutschland oder in der Nähe von Ortschaften unterwegs, geht es um kurze Reisen, kurze Abenteuer, dann kann ich auch loslassen. Dann sind mir Leichtigkeit und Agilität wichtiger als umfängliche Sicherheit. Aber was, wenn ich nicht nur eine Nacht unterwegs bin, wenn ich mehrere Wochen und dann noch weit weg von Zivilisation die Pedale kreisen lasse? Nicht nur dann sind Freiheit und Sicherheit der wahre Luxus: Abends ins gemachte Hotelbett hüpfen? Ich gönn mir die Isomatte. Morgens ein super Frühstücksbuffet? Lecker, aber auf Radreisen lieber frischen Kaffee und Müsli an der frischen Luft! Warme Dusche? Notfalls kann man sich mit Wassersäcken gut behelfen. Und ein trockenes, warmes Zimmer? Ist es nicht wunderbar, wenn man hinterher erzählen kann, wie man unter einer dünnen Zeltplane dem Wetter getrotzt hat? Wer sich für Camping, ob wild oder geordnet, entscheidet, wer also auf viele Reisestandards verzichten will und lieber auf Natur und die Freiheit setzt, der braucht halt Ausrüstung.

Mehr Sicherheit und Komfort

Es fängt bei Zelt, Isomatte, Schlafsack und Kocher an. Das deckt sich so weit auch noch mit leichtreisenden Wochenendabenteurern. Fällt aber vermutlich etwas robuster und bequemer aus, wenn man nicht am nächsten Abend wieder im weichen Bett schläft. Dann ist das Wetter auf längeren Routen unvorhersehbar. Und ins Museum gehe ich nicht so gern auf klappernden Radschuhen. Entsprechend umfangreich fällt die Kleiderliste aus. Unvorhersehbar auch die technischen Herausforderungen. Man kann Glück haben und sich über Monate nur einen Platten einfahren. Oder das Pech zwingt einen alle paar Kilometer zunehmend fluchend an den Straßenrand, weil die vermeintlich ewig haltbare Premiumkette – verdammt noch mal! – schon wieder gerissen ist. Dann freut man sich, wenn Ersatzkette oder Kettenglieder und Kettennieter auf der Packliste standen. Die Reisewerkstatt im Gepäck darf also gerne umfangreich sein, soll das Abenteuer nicht jäh enden oder mit Warten auf Ersatzteile und Hilfe unterbrochen sein. Und sei es am Ende nur, um sagen zu können: „Hätte ich es nicht dabeigehabt, dann hätte ich es sicher gebraucht.“

An das zusätzliche Gewicht gewöhnt man sich recht schnell und wenn Zeit keine Rolle spielt, dann ist auch Tempo nicht entscheidend. Langzeitreisende sind eh eine Sammlerspezies: Souvenirs hier, Geschenke da und „Überflüssiges“ – siehe Outdoordusche – allerorten. Das kann dann auch mal im kleinen, iranischen Teppich gipfeln, der immer wieder neben dem Kocher ausgerollt wird (Gruß an Dorothee und Kurt). Ein paar Annehmlichkeiten darf man auf so einer langen Reise schon haben. Darum sage ich: Camping kommt klar vor Hotel. Und: Packt die Taschen gerne – mit Bedacht – voll. Man muss Herausforderungen nicht künstlich provozieren. Abenteuer gibt es unterwegs auch so genug. Wir sind schließlich keine Engländer!

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