High Visibility beim Radfahren: Reflektierende Kleidung und Accessoires

High Visibility: Wie hell sollen wir scheinen?

High Visibility beim Radfahren: Reflektierende Kleidung und Accessoires

Hochreflektierende Bekleidung für Fahrradfahrer soll eine zusätzliche Sicherheit in der Dämmerung und im Dunkeln bringen. Diese Textilien reflektieren die Scheinwerfer von Autos sehr stark, teilweise deutlich stärker als eine handelsübliche Warnweste. Das findet nicht jeder gut.
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Ich habe es gerade im Herbst selbst ausprobiert: Im Dunkeln war ich mit einer extrem hochreflektierenden Jacke auf dem Fahrrad unterwegs. Schon nach wenigen Metern wurde ich zum ersten Mal angehupt. Der Fahrer fühlte sich geblendet. Aber immerhin: Er hat mich gesehen!
Diese Erfahrung haben wir in der Redaktion lang und breit diskutiert. Ich selbst bin hin und her gerissen. Ich verstehen beide Argumente, die wir hier in unserem Pro & Contra zusammentragen. Georg Zeppin empfindet die hochreflektierenden Stoffe, so genannte High-Visibility-Kleidung, als willkommenen Zusatzschutz. Denn er möchte sich nicht auf die Rücksicht anderer, ihm völlig fremder Verkehrsteilnehmer verlassen.

Lorenz Kircher hingegen fordert gerade das ein. Er erwartet von anderen Verkehrsteilnehmern, dass sie aufmerksam genug fahren, um auch im Dunkeln Fahrräder auf der Fahrbahn zu erkennen – wenn diese sich natürlich ebenfalls an die Regeln halten. Entsprechend seien im Regelfall Fahrradlicht und Reflektoren ausreichend, um gesehen zu werden. Er befürchtet sogar im Umkehrschluss, es könnte eine Selber-schuld-Haltung entstehen, wenn Radfahrer nicht hochreflektierend und seiner Ansicht nach übertrieben hell erleuchtet unterwegs sind.
Wir haben die Meinungen der beiden gegenüber gestellt. Wie sehen Sie das? Sind Sie eher „Team Pro High Visibility“ oder eher „Team Contra“? Lassen Sie es uns gerne wissen und schicken Sie uns Ihre Meinung an service@bva-bikemedia.de.

Stephan Kümmel, Redaktionsleiter

Pro High Visibility: Lebensretter!

Ein Kommentar von Georg Zeppin

In meinem Radfahrerleben habe ich durchaus schon jede Menge erlebt und fahre, wenn ich in winterlicher Nacht aufs Rad muss, dabei grundsätzlich so auffällig wie möglich gekleidet durch die Gegend und folge stets dem Grundsatz: Als Radfahrer bist du (und der Fußgänger) das schwächste Glied im Verkehr.

Lediglich helle Kleidung im Herbst/Winter zu tragen, bringt rein gar nichts: Wenn es duster wird, verschwindet auch die helle Jacke im Dunkel des Universums. Das einzige, was neben einer funktionalen und verkehrssicheren Beleuchtung am Rad mein Leben schützt, ist eine richtig gut reflektierende Jacke. Reflektoren an den Hosenbeinen zeigen im Dunkeln von der Seite die kreiselnde Rotationsbewegung beim Treten und signalisieren: Hier bewegt sich ein Radfahrer!

High Visibility: Unterwegs mit Sicherheitsweste und leuchtendem Helm.

Doch damit nicht genug: Beim Helm schwöre ich auf Modelle mit Rundumbeleuchtung! Vorne weißes Licht und hinten rotes. Einen solchen Helm hatte ich kürzlich bei einem Termin mit Vertretern aus der Radbranche auf: Als Gruppe von rund 15 Teilnehmern fuhren wir gegen Abend mit dem Rad zu einem Restaurant. Ich trug als einziger einen beleuchteten Helm. Obwohl alle Teilnehmer durchweg hochpreisige Radhelme trugen, ragte mein leuchtender Helm aus der Masse der in der Dunkelheit Radelnden heraus, was alle Teilnehmer zum Nachdenken bewegte.

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Weg vom Auto-Verkehr

Dem Auto-Verkehr weitgehend aus dem Weg zu gehen, ist stets mein Credo. Egal, ob ich eine Alltagsfahrt in die Stadt mache oder mich auf einen meiner Carbon-Esel schwinge und versuche, gesammelte Pfunde wieder wett zu machen. Erst recht im Dunkeln macht es Sinn, sich an diesen Grundsatz zu halten. Zum einen schütze ich mich durch eine kluge Streckenführung und verschone gleichzeitig so manch genervten Autofahrer, die im Dunkeln besser in den ÖPNV umsteigen sollten. Oft ist es mir schon passiert, dass ein Autofahrer in der Tranigkeit seines tristen Daseins vergessen hat, das Fern- auf Abblendlicht umzustellen. Gleißendes Licht strahlt dir dann entgegen! Prangert dies jemand an?

Und nein, in den Wintermonaten ist die Fahrbahn selten trocken und die Witterung gleicht zumindest in meiner oft nebeligen Region in Ostbayern nicht einem herrlichen Sommerabend. Es ist schlichtweg oft scheußlich, ungemütlich. Viele – vor allem die an Bewegungsarmut leidenden Automobilisten – leiden an Winterblues und passen am Ende nicht richtig auf. Da ist eine reflektierende Kleidung bzw. High Visibility allgemein das einzig probate Mittel, sich selbst am Leben zu halten.

Mehr Platz fürs Rad

Wenn die Zahl der mit ordentlich reflektierender Kleidung angezogener Radfahrer stark steigen würde, Autofahrer sich deshalb nicht mehr auf die Straße trauen: Wär doch super! Wir radfahrendes Volk hätten endlich den Platz im öffentlichen Verkehrs-Leben, der uns eigentlich längst gebührt. Würde sich das flächendeckend durchsetzen, wäre es an der Zeit, die Verkehrsplanung den Gegebenheiten anzupassen und dem Rad mehr eigenen Raum einzuräumen. Am Ende würden alle gewinnen: der Radverkehr wäre sicherer aufgestellt und die Autofahrer würden sparen. Indem sie entweder selbst aufs Rad umsteigen oder aus Frust vor den übrig gebliebenen, dann erst recht verstopften Straßen, kapitulieren. Dann wären wir im Rad-Schlaraffenland angekommen.

Ok, da sind mir die Gedanken ein bisschen zu sehr entgleist. Zurück zur Realität, in der wir täglich mit uns und dem übermotorisierten Straßenverkehr kämpfen. Einer drohenden Stigmatisierung als zu reflektierend bekleideter Radfahrender muss man entschieden entgegentreten. Die Gefahr für den Radfahrer geht stets vom hoch auf dem beheizten Ledersitz thronenden Wagenlenker aus. Scharfkantige Karossen, hochbeinige SUV und Sportwagen mit viel zu viel PS, die auf gleicher Höhe fahrend die Reifen durchdrehen lassen (!), blasen uns im schlimmsten Fall das Leben aus. Deshalb reflektier ich lieber. Meine Lebensversicherung!

Contra High Visibility: Aufpassen, bitte!

Ein Kommentar von Lorenz Kircher

Niemals würde ich mich als Radfahrer ganz bewusst dunkel einkleiden. Jedenfalls nicht, wenn ich weiß, dass meine Tour erst in der Dämmerung oder gar in dunkler Nacht endet. Vor allem meine Sportbekleidung ist in auffälligen und hellen Farben. Ich habe aber auch ein paar dunkle und schwarze Teile im Schrank, die mir sehr gut gefallen und die sich hervorragend tragen lassen. Ich käme nie auf die Idee, sie nicht anzuziehen, weil sie nicht hochreflektierend sind. Ich fühle mich wohl darin, darum trage ich sie auch, wann immer ich will.

Ich achte natürlich schon auf meinen Eigenschutz. So trage ich immer einen Helm, selbst wenn die Tour noch so kurz ist. Das fällt für mich aber deutlich eher unter Eigenschutz als eine High-Visibility-Jacke. Denn ich kann selbst stürzen, ob während der Fahrt oder sogar im Stehen. Es gibt leider zur Genüge Beispiele, dass sich Radfahrer bei einem Alleinunfall schwere Verletzungen zugezogen haben. Eine hochreflektierende Jacke aber hat bei einem Alleinunfall den selben Schutzeffekt wie eine pechschwarze, nämlich in der Regel fast keinen.

Sicherheit im Straßenverkehr: Alle sind verantwortlich.

Nur bei Tauglichkeit in den Straßenverkehr

Ich bin vielmehr der Auffassung, dass sich Menschen nur dann hinters Steuer eines Lastwagens, Busses oder Autos setzen sollten, wenn sie auch tatsächlich dazu tauglich sind. Das gilt im Übrigen auch für den Lenker eines Fahrrads. Wenn ich nicht in der Lage dazu bin, unterwegs einen Radfahrer auf einem (in der Dämmerung und in der Nacht auch beleuchteten) Fahrrad zu erkennen, habe ich an diesem Steuer oder Lenker nichts verloren. Und wenn plötzlich die Sichtverhältnisse sich ändern, es dunkel wird, zu regnen oder schneien anfängt, ja dann muss ich meine Geschwindigkeit eben reduzieren, wenn ich andernfalls die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer nicht mehr gewährleisten kann. Vor allem aber muss ich mich konzentrieren und die Augen aufmachen.

An einem normalen, mitteleuropäischen Abend bei trockener Fahrbahn und mit Autos auf der Straße, die eine TÜV-Plakette tragen, sowie Fahrrädern, die ebenfalls der StVZO entsprechen, sind hochreflektierende Jacken, Stirnbänder, Hosen, Gamaschen und Helme schlicht und ergreifend unnötig. Denn ein Fahrrad sollte unter diesen Bedingungen klar erkennbar sein.

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High Visibility und Victim Blaiming

Wenn immer mehr Radfahrer mit hochreflektierenden Kleidungsstücken unterwegs sind, könnte sich im schlechtesten Falle gar die öffentliche Wahrnehmung ändern. Schon heute steht in vielen Polizeiberichten zu Unfällen zwischen Radfahrern und Autofahrern, ob der Radfahrer einen Helm trug. Sogar, wenn das weder für den Unfallhergang noch für die Verletzungen eine Rolle spielt. Daraus ist in den vergangenen Jahren eine Grundstimmung entstanden, dass Radfahrer ohne Helm schon selbst schuld daran seinen, wenn sie umgemäht werden. Wenn die gleiche Argumentation sich auch bei High Visibility Bahn bricht, haben Auto-, Bus- und Lastwagenfahrer einen kompletten Freibrief für unaufmerksames Fahren. Tenor: Wer keinen Helm trägt und nicht leuchtet wie ein Christbaum an Heiligabend, der hat es nicht besser verdient, als über den Haufen gefahren zu werden.

Nein. Das ist der falsche Weg. Ich selbst bemühe mich, vorausschauend, defensiv und rücksichtsvoll zu fahren. Auf dem Fahrrad und im Auto. Ich finde, ich sollte und muss das auch von allen anderen Verkehrsteilnehmern erwarten können.

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