Unterwegs auf dem Radschnellweg RS1

Radschnellwege in Deutschland – Freie Fahrt für Radfahrer?

Radschnellwege: Freie Fahrt für Radfahrer?!

Radschnellwege in Deutschland – Freie Fahrt für Radfahrer?

Als im Herbst 2015 der erste Abschnitt des Radschnellwegs RS1 zwischen Essen und Mülheim an der Ruhr eröffnet wurde, ging dies bundesweit durch die Medien. Vielen Menschen war aber nicht klar, was die neue „Fahrrad-Autobahn“ eigentlich ist. Können jetzt auch Radfahrer rasen? Fakt ist: Es bewegt sich was in Deutschland. Besonders in Nordrhein-Westfalen geht es bei den Radschnellwegen vorwärts.
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Immer mehr Berufstätige in Deutschland fahren weite Strecken zum Arbeitsplatz. Und viele Menschen fahren diese Strecken gerne mit dem Rad, derzeit etwa 11 Prozent. Nicht wenige Pendler radeln dabei zwischen 5 und 15 Kilometern, also auch weitere Strecken. Des Weiteren hat sich die Durchschnittsgeschwindigkeit bei deutschen Radfahrern in den letzten Jahren stetig erhöht, von 15 auf 25 Stundenkilometer. Das liegt unter anderem auch an den immer populärer werdenden Pedelecs.

Der Blick über den Tellerrand beweist: Besser ausgebaute Radschnellwege können für noch mehr Rad-Pendler sorgen. In den Niederlanden gibt es beispielsweise bereits 300 km „Fietssnelwege“ – in den Regionen mit gut ausgebauten Radschnellwegen fahren über 25 Prozent der Pendler mit dem Rad zur Arbeit. In Deutschland existieren bislang nur zwischen 10 und 40 Kilometer Radschnellwege, je nach Auslegung des Begriffs.

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Was sind Radschnellwege?

Radschnellwege werden immer wieder als „Fahrrad-Highway“, „Fahrrad-Rennstrecke“ oder gar als „Fahrrad-Autobahn“ bezeichnet. Gemeint sind Radwege, die vom Auto- und Fußverkehr getrennt verlaufen und vor allem für Alltagsradler gedacht sind. Nicht um gemütlich durch die Landschaft zu tingeln, sondern um ohne viele Umwege von A nach B zu kommen – Radschnellwege verbinden auf direkte Weise Landkreise, Kommunen oder Stadtteile. Pendler sollen auf diese Weise motiviert werden, vom Auto aufs Rad umzusteigen und damit den Straßenverkehr dauerhaft zu entlasten.

Kriterien

Wichtige Merkmale eines Radschnellweges sind die Breite von etwa vier Metern, ein leichtläufiger Belag sowie der größtenteils gerade und kreuzungsfreie Verlauf, damit ein zügiges Radfahren gewährleistet werden kann. Denn im normalen Straßenverkehr werden bisher Autofahrer bevorzugt, zum Beispiel sind grüne Wellen immer auf das PKW-Tempo abgestimmt. Die Idee ist, dass ein Radfahrer beispielsweise mit 20, aber auch mit 30 Stundenkilometern fahren kann, ohne ständig anzuhalten. Auch bremsen sich Radfahrer auf einem Radschnellweg nicht gegenseitig aus, denn die Breite ermöglicht auch das einfache Überholen, selbst wenn bereits zwei Radler nebeneinander herfahren. Zusätzlich soll ein Radschnellweg über hochwertige Beleuchtung und eindeutige Wegweisung verfügen und im Winter geräumt werden. In Deutschland ist der Begriff „Radschnellweg“ jedoch noch keine offizielle Bezeichnung im Sinne der Straßenverkehrsordnung, auch kommt er bisher in den deutschen Regelwerken zum Straßenbau nicht vor und das macht das Ganze so kompliziert.

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Komplexe rechtliche Situation

Radschnellwege sind effektiv, ökologisch sinnvoll und verhältnismäßig günstig – darin sind sich Politiker und Städteplaner einig. Doch wer soll sie finanzieren? Für Radinfrastruktur sind in Deutschland normalerweise die Länder und Kommunen verantwortlich, diese können die Baukosten von Radschnellwegen aber nicht alleine stemmen. Weil Radwege in der Regel keine bundesweite Bedeutung haben, erklärte die Bundesregierung in den letzten Jahren, Radschnellwege gehörten nicht in die Zuständigkeit des Bundes. Im neuen Bundesverkehrswegeplan 2030, den das Bundesverkehrsministerium um Minister Alexander Dobrindt im August 2016 vorgestellt hat, gibt es jedoch erstmals einen Passus zur Zukunft des Radverkehrs. Man wolle sich künftig im Rahmen der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten stärker am Bau von Radschnellwegen beteiligen, heißt es in dem Abschnitt. Dass es diese Möglichkeiten gibt, darauf wiesen Interessenverbände, wie der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e. V. (ADFC), seit langem hin. Beispielsweise ist eine Förderung dann machbar, wenn Radschnellwege im Umfeld von Bundesfernstraßen verlaufen. Außerdem ist eine Entlastung auch überregionaler Strecken zu erwarten, wenn Pendler auf kurzen Wegen einen Radschnellweg statt der Autobahn nutzen.

Der ADFC begrüßt den neuen Bundesverkehrswegeplan

Ganz nebenbei hilft natürlich jeder Radfahrer, die Klimaschutzziele des Bundes zu erreichen. Beim ADFC ist man begeistert vom neuen Bundesverkehrswegeplan. Denn aus Sicht des Vorsitzenden Burkhard Stork werden die Prioritäten bisher falsch gesetzt: „Fünf Prozent aller Autobahnkilometer verlaufen mitten durch Städte – ein monströses und überkommenes Konzept.“ Er fordert deshalb, „dass der Bund bei allen innerstädtischen Autobahn-Ausbauprojekten – wie A52, A57, A115 – wohlwollend prüft, ob ein Radschnellweg die Kurzdistanzen aufnehmen kann und deshalb die bessere Alternative ist“.

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Handeln statt Reden

Ideen für Radschnellwege gibt es in ganz Deutschland, auch wurden bereits zahlreiche Machbarkeitsstudien durchgeführt, die alle den Nutzen von Radschnellwegen bestätigen. Doch wirklich vorwärts geht es vor allem in Nordrhein-Westfalen (NRW). Bereits zu Beginn der Legislaturperiode 2012 hatte sich die rot-grüne Landesregierung zum Ziel gesetzt, die Realisierung von Radschnellwegen voranzutreiben. 2012 wurden in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft fahrrad- und fußgängerfreundlicher Städte, dem ADFC, der Kommunalen Spitzenverbände und Planungsbüros Kriterien für Radschnellwege definiert. Michael Groschek, der Verkehrsminister von NRW, erklärt stolz: „Damit ist Nordrhein-Westfalen Trendsetter für Radschnellwege – und zwar europaweit! Nicht einmal unsere niederländischen Nachbarn haben bis zum heutigen Tage eindeutige Kriterien für Radschnellwege.“ Um die Kommunen besser unterstützen zu können, ist die Regierung in NRW noch einen Schritt weiter gegangen: Ende 2015 hat das Kabinett eine Änderung des Straßen- und Wegegesetzes beschlossen. So sollen Radschnellwege in Zukunft Landesstraßen gleichgestellt und damit in die Baulast des Landes aufgenommen werden. Das heißt, dass die Finanzierung vom Land komplett übernommen bzw. bei Städten über 80.000 Einwohnern zu 70 Prozent gefördert werden kann. Auch für die Instandhaltung und den Winterdienst ist dann das Land zuständig. Die Änderung des Straßen- und Wegegesetzes soll noch in diesem Jahr vom Landtag beschlossen werden.

Radschnellweg Ruhr RS1

Aktuell sind in NRW sieben Radschnellwege in Planung. Der längste ist der RS1, der mit rund 100 km quer durch das Ruhrgebiet führen soll und internationale Beachtung erhielt. Der erste Teilabschnitt zwischen Essen und Mülheim an der Ruhr wurde im November 2015 eröffnet, der zweite Teil (600 Meter) wird derzeit gebaut. Wie dann aber die nächsten Abschnitte finanziert werden, ist unklar. Groschek fordert eine Unterstützung vom Bund, das Land NRW könne die Kosten nicht alleine tragen. Dass sich der Kostenaufwand am Ende wirklich lohnt, hatte die große Machbarkeitsstudie zum RS1 gezeigt. Die Autoren der Studie kamen 2014 zu dem Ergebnis, dass der rechnerische Nutzen des Radschnellwegs – durch verbesserte Gesundheit und verringerte Unfallzahlen – fast fünfmal so hoch ist wie seine Kosten. Ein Kilometer Autobahnbau ohne Tunnel und Brücken kostet etwa 10 Millionen Euro – ein Kilometer RS1 hingegen nur 1,8 Millionen Euro. Laut Studie könne der Radschnellweg täglich bis zu 52.000 Pkw-Fahrten mit über 400.000 gefahrenen Kilometern ersetzen. Ganz besonders im staugeplagten Ruhrgebiet kann das eine gewaltige Entlastung bieten.

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Es ist noch viel zu tun

Der Volljurist Michael Söchtig ist schon mehrmals die Strecke gefahren und ist begeistert: „Der RS1 macht richtig Spaß! Und er ist durchaus grün – von einer reinen Zweckstrecke ohne touristischen Wert zu sprechen wäre unfair.“ Doch stellt er auch einige Mängel fest, zum Beispiel die bisher fehlende Beleuchtung. Auch, dass die Strecke nicht durchgehend asphaltiert ist, reduziert dem 33-Jährigen den Fahrspaß. Die Pflasterstein-Design-Elemente an Kreuzungen und Anschlussstellen seien zwar gestalterisch ansprechend, kosteten aber Fahrkomfort: „Da wäre weniger Design und mehr Funktion wünschenswert.“ Es gibt also auch im Ruhrgebiet noch viel zu tun.

In NRW bewegt sich was

Unterstützung bekommt die Landesregierung in NRW von der Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in Nordrhein-Westfalen e. V. (AGFS), die seit 1993 die Städte und Gemeinden NRWs in Bezug auf Nahmobilität, Nahversorgung und Naherholung attraktiver gestalten will. Gemeinsam mit der AKFS hatte das NRW-Verkehrsministerium 2013 auch einen Planungswettbewerb durchgeführt, um weitere regionale und überregionale Radschnellwegkonzepte zu ermöglichen. 150 km Radschnellwege sollen in den nächsten Jahren entstehen.

In NRW bewegt sich also was. Und Landesverkehrsminister Groschek erzählt begeistert, dass es bereits erste Interessenbekundungen am neuen Gesetzentwurf gibt – vielleicht bedeutet das, dass auch andere Bundesländer bald diesem Vorbild folgen könnten. Die Landesregierung von NRW hat jedenfalls gezeigt, dass der entscheidende Faktor für echte Veränderung politischer Wille ist.

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